Warenkunde der Stoffe

 

Wie kann man die Stoffe auseinanderhalten?

Schwierige Sache! In Deutschland schreibt dasTextilauszeichnungsgesetz vor, daß bei jedem Stoff, der verkauft wird, dabeistehen muß, aus welcher Faser er ist. Richtig sicher sicher kann man sich nur sein, wenn da z.B. "100% Leinen" steht: Dann darf maximal 5% des Stoffgewichtes aus einem anderen Material bestehen, und auch dann nur, wenn die Herstellungsweise das erfordert und nicht nur so zum Spaß oder weil es billiger ist. Meist sind die Fremdfasern in der Webkante, die man sowieso wegschneidet. Wenn sich die Prozentangaben zu 100% addieren (z.B. 70% Leinen, 30% Baumwolle), gilt das gleiche. Der Rest der EU müßte ähnliche Gesetze haben.

In nicht-EU-Ländern kann man die Auszeichnung meist vergessen. Eine Bekannte brachte z.B. Proben von angeblicher Thaiseide aus Thailand mit, die sich bei der Brennprobe (siehe weiter unten) sämtlich als Plastik erwiesen, mit einer Ausnahme - die war Viskose. Asiatische Händler auf Etsy oder Ebay nennen ihre Ware gerne mal "silk", meinen damit aber nicht die Faser, sondern das Aussehen. Wenn man Glück hat, steht im Kleingedruckten dann "100% Polyester".

Um in der Wahl der Stoffe wirklich sicher zu sein, ist es am besten, selber fast zu einem Experten zu werden. Das ist gar nicht mal so übermäßig schwer: Streife ein wenig durch Stoffgeschäfte (wo meistens die Etiketten, sicher aber die Verkäuferinnen, das Material und manchmal auch die Webart verraten - siehe Textilauszeichnungsgesetz) und versuche, durch anschauen, fühlen und riechen die typischen Merkmale von Seide, Leinen und Wolle zu lernen. Riechen? O ja! Seide z.B. hat einen relativ starken, typischen Geruch - am stärksten verströmen ihn die gröberen Qualitäten, Bouretteseide und Seidenleinen, aber auch Dupion, wobei Dupion oft von einer seifigen Komponente überlagert wird. Nicht jede Seide riecht so, aber wenn ein Stoff so riecht, dann ist es Seide. Auch Leinen hat einen typischen Geruch, der aber viel schwächer ist und leicht vom Geruch der Appretur, des Waschmittels, der Umgebung überlagert wird. Versuche auch, die drei Grundwebarten der Leinen-, Atlas- und Twillbindung kennenzulernen (siehe weiter unten).

 

Brennprobe

Eine Stoffprobe anzuzünden, ist die zweitbeste Überprüfungsmethode. Auf diese Weise kann man zumindest mal angebliche Seide bzw. Wolle von Synthetiks (egal ob aus Plastik oder pflanzlich) unterscheiden, und das sind diejenigen Fasern, die bevorzugt durch ähnlich aussehende Kunstfasern imitiert (Seide) bzw. gestreckt (Wolle) werden. Die beste Methode ist die Betrachtung unter dem Mikroskop, aber dafür müßte man ein solches erst mal haben bzw. beim Stoffkauf dabeihaben.

Wähle die Umgebung für Deine Brennprobe mit Umsicht: Es sollte nichts brennbares in der Nähe sein, dafür aber nach Möglichkeit Wasser zum Löschen und ein feuerfestes Gefäß, das den brennenden Fetzen aufnehmen kann, also Keramik oder Metall. Daheim mache ich es immer im Waschbecken, ansonsten im Freien. Nach der Probe mach den Stoffetzen gut naß, bevor Du ihn wegwirfst, und laß ihn eine Weile im Waschbecken liegen (sonst brennt nachher vielleicht der Mülleimer) bzw. wirf ihn (im Freien) auf Kies oder Asphalt, aber auf keinen Fall in die Nähe trockener Pflanzen.

Pflanzenfasern brennen allgemein recht gut mit heller, schneller Flamme. Ist die Flamme ausgegangen, glimmen sie weiter, bis man sie löscht (daher auch der Rat, den Fetzen hinterher gut zu durchnässen). Es riecht nach verbranntem Papier. Die zurückbleibende Asche ist sehr fein, hellgrau, und zerbröselt sofort zu feinem Staub, wenn man sie anfaßt.

Das Verhalten ist leider bei allen Pflanzenfasern sehr ähnlich, d.h. man kann sie schwer auseinanderhalten. Das gilt auch für Viskose und Acetat, die zwar pflanzlichen Ursprungs, aber eben keine Naturfasern sind. Wenn ein vermeintlicher Seidenstoff, z.B. ein Taft oder Satin, so brennt, dann ist es mit Sicherheit Kunstseide.Baumwolle und Leinen sind in der Oberfläche stumpf; nur mercerisierte Baumwolle (seit 1850) kann annähernd so glänzen wie die synthetischen Pflanzenfasern, aber eben nur annähernd. Baumwolle ist eher weich, ein wenig flauschig und warm, Leinen eher steif, labberig-schwer und kühl und hat oft einen ganz leichten Glanz - den kann mercerisierte oder gemangelte Baumwolle aber auch haben. Manchmal findet man auf Flohmärkten "altes Leinen", das fein, reinweiß und so glänzend ist, wie man es von Leinen erwartet, aber das ist oft in Wirklichkeit gemangelte Baumwolle. Eine Reißprobe kann Klarheit schaffen: Da Flachsfasern länger sind als Baumwollfasern, ist Leinen etwas reißfester. Wenn man also den Stoff 3-5 cm einschneidet, beiderseits des Schnittes fest anpackt und dann den Stoff auseinanderzureißen versucht, dann wird Baumwolle viel bereitwilliger reißen als Leinen mit gleicher Fadendicke und Webdichte. Beide halten große Hitze aus (beim waschen und bügeln); Baumwolle geht stärker ein. Beide knittern leicht, Leinen noch leichter und dauerhafter. Vor allem modernes Leinen hat oft eine ganz eigene Art, zu knittern ("Leinen knittert edel", war mal ein Werbespruch), die ich nicht beschreiben kann.

Da hilft nur Erfahrung - oder der Blick durchs Mikrokskop: Leinenfasern sind länger und glatter als Baumwollfasern und sehen in der Vergrößerung fast wie Gras aus, Baumwolle eher "lockig". Und dann gibt es noch Ramie, eine natürliche Pflanzenfaser, die im Orient (aber eben nur da) eine lange Tradition hat und im Knitterverhalten große Ähnlichkeit mit modernem Leinen aufweist. Es greift sich, anders als hochwertiges Leinen, relativ rauh an, ist aber leicht mit minderwertigem Leinen zu verwechseln.

Tierische Fasern - also Seide und Wolle - brennen ungern; die Flamme gibt knatternde Geräusche von sich und erlischt schnell. (Deshalb ist Wolle besonders gut am Lagerfeuer oder Ofen: Wenn sie anbrutzelt, steht man nicht gleich in Flammen.) Es riecht nach verbrannten Haaren. Wolle kräuselt sich zuerst und wird braun, dann verkokelt sie zu schwarzen, glänzenden Klumpen, die unter Druck leicht zerbrechen. Seide verkokelt zu silbrig glänzenden Klumpen, die ebenfalls leicht zerbrechen.

Synthetiks sind eine Untergruppe der Kunstfasern, aber nicht dasselbe in Grün. Wie oben schon erwähnt, bedeutet der Begriff "synthetisch" nur, daß die Faser künstlich erzeugt wurde, was auch auf Fasern zutrifft, die mit Hilfe chemischer Verfahren aus Zellstoff erzeugt wurden, also z.B. Viskose (aka Cupro), Acetat u.ä.. Im allgemeinen Sprachgebrauch aber sind Synthetiks ganz schlicht aus Plastik, und so ist die Brennprobe auch: Sie schmelzen und ziehen, solange sie heiß sind, Fäden. Die Klumpen, die sich bilden, sind im warmen Zustand knetbar, im ausgekühlten Zustand hart und zerbrechen nicht. Je nachdem, mit welchem Material man es zu tun hat und wie es behandelt ist, stinkt es nach geschmolzenem Plastik oder riecht gar nicht. Der Stoff mag entweder nicht recht brennen, oder man verbrennt sich in einem Sekundenbruchteil die Finger. Zu den Synthetiks gehören Nylon (=Polyamid) und Polyester. Rayon klingt zwar ähnlich wie Nylon, ist aber Viskose, also eine pflanzliche Kunstfaser.

Kunstseide ist ein Sammelbegriff für Kunstfaserstoffe, die durch ihren Glanz geeignet sind, Seide zu imitieren. Dazu gehören Viskose, Acetat und andere, mittlerweile "ausgestorbene" Fasern auf Zellulosebasis, die seit 1885 produziert wurden. Aber auch die oben genannten Plastikfasern gehören dazu. Kunstseide aus Pflanzenfasern ist also für das späte 19. und frühe 20. Jh. gar nicht mal unauthentisch.

Die Webarten

Die Bilder im folgenden wurden alle mit derselben Auflösung gescannt, um denselben Faktor verkleinert und nicht gedreht, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Da man die Struktur möglichst noch sehen soll, sind die Bilder relativ groß.

Leinenbindung ist die einfachste und bestimmt auch älteste Webart: Eins rauf, eins runter, eins rauf, eins runter etc. Das Ergebnis ist ein gleichmäßiges Gitter, das von rechts und links gleich aussieht. Der Name sagt schon, daß besonders Leinenstoffe so gewebt wurden, wobei der Begriff nicht unbedingt die Faser bezeichnet, sondern allgemein für Wäsche steht, wie es im Englischen heute noch der Fall ist (bed linens: Bettwäsche, ob aus Leinen oder Baumwolle). In diese Gruppe gehören fast alle modernen Leinen-, Hemd- und Blusenstoffe, Batist, Organza, Chiffon, Dupion- und Bouretteseide, Taft, Gaze und viele Wollstoffe.

Feines, "weitmaschiges" Leinen Mittleres, dichtes Leinen, "Bauernleinen"
Mittleres, weitmaschiges Leinen für Kreuzstichstickerei Rupfen, auch als Jute bekannt

 

Köper bedeutet, daß regelmäßig zwei, drei, manchmal auch vier Kettfäden übersprungen werden, bevor es wieder unter einem durch geht. In in der nächsten "Zeile" wird die Abfolge um eins oder zwei seitwärts verschoben, in der übernächsten ebenso. Dadurch entsteht auf der rechten Seite eine deutliche diagonale Struktur, die auf der linken Seite weniger deutlich zutage tritt. Zu den köperbindigen Stoffen gehören z.B. Jeans, Coutil, Drell, Drillich (alle meist Baumwolle), Gabardine, Serge und Twill. Das Material für Blue Jeans ist nichts anderes als ein kräftiger Baumwollköper, der in einer Richtung aus weißen und in der anderen Richtung aus indigogefärbten Fäden gewebt wurde.
Wechselt die Gratrichtung immer wieder, entsteht Spitzköper (Zickzack) oder Rautenköper. Wenn das Zickzack nicht symmetrisch ist, sondern an den Spitzen leicht versetzt, nennt man es Fischgrat bzw. Diamantköper.

Baumwollköper, rechte Seite. Baumwollköper, linke Seite.
Seidenköper, rechts. Zweifache Vergrößerung. Seidenköper, links. Zweifache Vergrößerung. In diesem Fall ist die linke Seite die schönere, die nach außen getragen werden sollte, aber das ist Geschmackssache.
Filziger Wollköper, rechts. Zweifache Vergrößerung. Ein typischer Mantelstoff. Filziger Wollköper, links. Zweifache Vergrößerung.
Leinenköper zweifarbig, Spitzköper, rechts Leinenköper zweifarbig, Spitzköper, links


Atlasbindung ist mit dem Köper insofern verwandt, als immer mehrere Fäden (statt wie bei Leinenbindung nur einer) übersprungen werden. Während beim Köper normalerweise nur bis zu drei oder vier Fäden übersprungen werden, beim Atlas hingegen selten weniger als fünf. Außerdem ist der Versatz in der nächsten Zeile größer. Dadurch wird eine allzu sichtbare Diagonalrippe vermieden; der opische Eindruck ist homogener. Das Ergebnis ist ein auf der rechten Seite sehr glatter, glänzender Stoff, der links stumpf ist. Atlasgewebe findet man fast ausschließlich aus Seide bzw. Kunstseide, aber es gibt auch Baumwoll- und (ganz selten) Wollsatin. Der Begriff "Atlas" hat im Versuch selbst (angebliche?) Fachverkäuferinnen in einem Seidengeschäft nur verwirrt; heute verlange man Duchesse Satin für die dicke, steife Variante oder Satin bzw. Crêpe Satin für die dünne, fließende aus überdrehten Fäden.

Seidenatlas (Duchesse Satin), rechts. Zweifache Vergrößerung. Seidenatlas (Duchesse Satin), links. Zweifache Vergrößerung.
Seidensatin (Crêpe Satin), zweifache Vergrößerung. Linke Seite links, rechte Seite rechts.

 

Damast ist quasi eine Abart der Atlasbindung, wobei es allerdings auch Damaste gibt, die auf Köper basieren. Das Muster entsteht dadurch, daß an bestimmten Stellen die linke Stoffseite zur rechten wird und umgekehrt, d.h. wo vorher Schußfäden über 5 Kettfäden sprangen, tauchen sie nun unter 5 Kettfäden durch. Da, wie oben gesehen, die linke Stoffseite immer etwas stumpfer wirkt als die rechte, ergibt sich bei einfarbigen Damsten das Muster aus der unterschiedlichen Lichtreflexion. Haben Kett- und Schußfäden verschiedene Farben, tritt mal die eine, mal die andere Farbe stärker hervor. Damit werden Muster gewebt, die geometrisch oder floral sein können. Vorder- und Rückseite verhalten sich zueinander wie Negativ und Positiv eines Fotos und können beide gleichermaßen als Schauseite dienen. Da die Fäden jeder beteiligten Farbe in kurzen Abständen auf die Vorderseite treten müssen, sind Muster mit scharf abgegrenzten, reinen Farben nicht möglich: Es entstehen immer Mischfarben. Im Beispiel unten ist das Rot nicht richtig rot und das Weiß nicht richtig weiß. Damast gibt es aus Baumwolle, Seide, nur noch selten aus Leinen noch seltener aus Wolle.

Leinendamast, zweifarbig, rechts (altes Mangeltuch) Leinendamast, zweifarbig, links (gespiegelt)
Zwei Leinendamaste, aus mehr oder weniger gebleichten Fäden, rechts. Dieselben Leinendamaste, links

 

Der Begriff Brokat wird sehr unterschiedlich verwendet, sehr oft falsch. Ganz allgemein ist Brokat in Stoff, bei dem ein Muster erzeugt wird, indem farbige Fäden an bestimmten Stellen auf die Vorderseite treten, ohne an der Bildung des Gewebes beteiligt zu sein. Sie sind weder Kett- noch Schußfäden, und wo sie nicht gebraucht werden, hängen sie auf der Rückseite herum (sie flottieren). Daher sind scharf abgegrenzte Muster aus mehreren, reinen Farben möglich. Die Basis für einen Brokat kann jede beliebige Bindungsart sein: Leinwandbindung wie beim Gros de Naples oder Gros de Tours (beides Ripse), Atlas und Kombinationen daraus. Köper theoretisch auch, wurde aber eher nicht gemacht – vermutlich befand man die Diagonalrippen als störend. Brokate sind also mehrfarbig und oft (aber nicht notwendig) von Gold- oder Silberfäden durchzogen. Die meisten Brokate sind aus Seide, heute natürlich auch aus Kunstfasern.

Seidenbrokat mit Goldfäden, Vorderseite.
Die gelben Fäden sind Reste von Nähten.
Rückseite. Die Goldfäden sind so eingewebt,
daß sie möglicht nicht auf der Rückseite flottieren - dafür sind sie zu teuer.

 

Cord ist eine Abart von Samt mit variabler Florhöhe. Im 18. Jh. recht beliebt, vorher wahrscheinlich nicht üblich.

Faille ist in ein Rips: Ein Seidenstoff, bei dem die Schußfäden dicker sind als die Kettfäden. Das Gewebe hat deutliche Querrippen.

Noch mehr Definitionen gibt's im Lexikon der textilen Raumausstattung.

 

Thursday, 31-Oct-2019 17:19:12 CET