Die Herstellung einer Open Robe

Der Oberstoff



Für den Oberstoff brauchen wir noch einmal den Futterschnitt, weil Armloch und Seitenkante in Futter und Oberstoff gleich geschnitten werden.

Fangen wir mit dem einfachsten an: Das seitliche Rückenteil. Wie schon gesagt, wird es im Oberstoff nur von der Seitennaht bis zur gestrichelten Linie geschnitten. Im Original liegt entlang dieser schrägen Linie übrigens eine Webkante. Falls Du Dir unsicher bist, wo die schräge Linie landen muß, nachdem Du das Futter auf Deine Größe angepaßt hast: Es kommt darauf an, daß die Schnittkante des seitlichen Rückenteils unter der äußersten Falte, die in das mittlere Rücketeil eingelegt wird, verschwindet. Im Idealfall wird die Naht, die diese Falte im inneren Stoffbruch auf das Futter heftet, auch gleich das seitliche Rückenteil mitfassen. Wenn es blöd läuft, mußt Du das seitliche Rückenteil extra auf das Futter heften, aber die Schnittkante wäre trotzdem im Schatten der Falte verborgen. Falls Du das Futter nicht verkleinern mußtest, nimm einfach die Punkte bei 4,3 oben und 1,8 unten im Schnitt, dazu 1,5-2 cm Nahtzugabe, dann wird es schon passen. Falls Du verkleinern mußtest (echt?!), dann kannst Du das Mittelteil eigentlich nur noch im Millimeterbereich kleiner machen, also paßt das cum grano Nahtzugabis auch. Du kannst im Zweifel mit der Schnittkante beliebig nah an die hintere Mitte heranrücken. Damals wäre es Verschwendung gewesen, heute fällt das nicht ins Gewicht. Hauptsache, die Schnittkante bleibt unter den Falten verborgen.

Falte also Papierschnitt für das Futter entlang dieser gestrichelten Linie weg, leg es so auf den (doppelt liegenden) Oberstoff auf, daß der Faltenbruch entlang der Webkante liegt, und zeichne den Umriß an. Nahtzugaben wie beim Futter. Außer vielleicht zur hinteren Mitte hin... siehe oben.

Nun das Vorderteil. Unter- und Seitenkante und Armloch orientieren sich wieder um am Futterteil. Die Vorderkante zu bestimmen, ist etwas schwieriger. Am oberen Ende des Futters, oberhalb der "Treppe", liegt der innere Faltenbruch der Robings-Falte genau auf der (untergeschlagenen) Vorderkante des Futters. Im Original-Schnitt muß man also ungefähr 9,5 cm horizontal über das obere Ende der Vorderkante des Futters hinausgehen, um die Vorderkante des Oberstoffs zu bestimmen. An der Unterkante des Futters hingegen ragt der innere Faltenbruch etwa zwei Zentimeter über das Futter hinaus. Betrachte den Oberstoff-Schnitt für das Vorderteil: 5,5 cm fürs Robing, 2,5 cm bis zum inneren Faltenbruch, und dann nochmal 2 cm für das darüber-hinaus-ragen - macht zusammen 10 cm. Da der Unterschied recht klein ist und die Zugabe vorn recht breit werden darf, würde ich oben und unten ganz einfach 13-14 cm (Zugabe inklusive) über die Futterkante hinausgehen. Solche kleinen Ungenauigkeiten verschwinden beim Zusammenbau fast von allein.

Leg also den Futterstoff 13-14 cm entfernt von der Webkante auf und male den Umriß von Armloch, Seitenkante und Unterkante an. Den Rest der Unterkante und des Armlochs ergänze nach den Maßen Schnittvorlage und mit viel Gefühl.

Fehlt noch das mittlere Rückenteil. Jetzt wird die Proportion wichtig. Wenn Du einen breiteren Rücken hast als die ursprüngliche Trägerin, würde es ziemlich seltsam aussehen, wenn die Rückenfalten ebenso schmal wären wie im Originalschnitt. Wenn ich dieses Kleid nacharbeiten wollte, würde ich meinen Rücken von Seitennaht zu Seitennaht messen und mit dem entsprechenden Maß im Schnitt (36,6) vergleichen. Sagen wir, mein Maß wäre 42. 42/36,6=1,15 (gerundet). Dann würde ich die Breite der Faltenmaße mit 1,15 multiplizieren, d.h. die innere Falte wäre oben 4,6 cm (statt 4,0) breit und unten 1,7 (statt 1,5). Jedes Maß für sich ist vernachlässigbar, aber über die ganze Breite des mittleren Rückenteils addiert, kommt vielleicht der eine oder andere Zentimeter zusammen. Den Rücken zu verlängern dürfte kein Problem sein: Papierschnitt quer durchschneiden, Streifen dazwischenkleben, Treppen ausgleichen... Sagte ich schon, daß diese Anleitung nur für Fortgeschrittene geeignet ist? ;) Falten oben und unten so tief einlegen wie im Schnitt, bzw. (weil größere Leute auch meistens mehr Umfang haben) wie zuvor beschrieben hochrechnen.

Das so entstandene Schnitteil wird an den Stoffbruch gelegt, Oberkante zur Schnittkante des Stoffes, denn nach unten hin muß ja in den Rock hinein verlängert werden. D.h. wir müssen noch herausfinden, wie lang der Rock werden soll. Wir malen also erstmal den Schnitt des Oberteils auf, schneiden aber noch nicht.

Um herauszufinden, wie lang der Rockteil sein muß, ist das seitliche Rockmaß am besten: Nur hier liegt die Naht zwischen Rock und Oberteil auf Höhe der natürlichen Taille, und der Saum etwa auf Höhe des Bodens, vielleicht eher etwas darüber, aber ziemlich sicher nicht darunter. Im Originalschnitt sind das 104 cm. Der Abstand von Taille bis Boden beträgt bei einer Person von 160 cm Stockmaß ca. 98 cm; bei dem Persönchen, für das dieses Kleid geschneidert wurde, dürften es maximal 90-95 cm sein1. Aus der Differenz zwischen vorderer und seitlicher Rocklänge (9-14 cm, jenachdem, ob wir 90 oder 95 als vordere Rocklänge ansetzen) können wir schließen, ob ein Rockunterbau getragen wurde und was für einer. Bei Poschen z.B. beträgt die Differenz normalerweise um die 12 cm. Nehmen wir noch die hintere Rocklänge (100) hinzu, können wir daraus schließen, daß hinten kein oder ein sehr kleines Polster war. Ich vermute also, daß diese Robe über Poschen oder einem schmalen Panier getragen wurde, was die Datierung näher an 1760 als an 1770 rückt. Ein schmales Panier hätte den Vorteil, daß die hintere Mitte etwas gestützt wird. Bei Poschen würde ich zusätzlich ein kleines Arschkissen empfehlen.

Für den Zweck des Nachbaus solltest Du also Deine seitliche Rocklänge über kleinen Poschen bestimmen und den Rockschnitt um eben dieses Maß verlängern oder verkürzen. Allerdings habe ich sie Saumline sowieso nur geschätzt. Wenn Du es Dir zustraust, wäre es sicherer, alle Rockbahnen nach deinem seitlichen Rockmaß gleich lang zu schneiden, ans Oberteil zu nähen und die Saumlinie bei einer Anprobe abstecken zu lassen.

Die Breite der originalen Rockbahnen entspricht natürlich nicht der modernen Stoffbreite. Ich würde jederzeit eine Naht oder zwei weglassen, wenn mein Stoff das hergibt. Wenn Dein Umfangmaß deutlich größer ist als das unserer Trägerin, sollte der Rock insgesamt entsprechend weiter sein. Für eine/n versierte/n SchneiderIn sollten die entsprechenden Übersetzungen kein Problem sein.

 

Nächster Schritt: Montieren

 

1) Die Vorderkante der vorderen Rockbahn ist 87,5 cm lang und pi mal Auge 2 cm unterhalb der Taillenlinie angenäht, macht 89,5. Die vordere Oberrockkante ist bei erhaltenen Kleidern meistens irgendwo zwischen 0 und 10 cm über Grund, wobei alles über 5 cm eher seltsam aussieht.