Die Herstellung eines Rokoko-Korsetts
Teil 3: Die Methode

 

 

Schneiden

Schneide jedes Teil aus Basisstoff zweimal im Stoffbruch zu. Ist der Basisstoff nicht allzu kräftig, könnte es nötig werden, jedes Teil noch einmal einfach zuzuschneiden, für eine dreilagige Basis. Nahtzugabe nur in der Seitennaht (bis zur Taillenlinie) und da, wo die Träger auf das Rückenteil treffen, und zwar jeweils großzügig.

Wenn Du Rückenschnürung willst, laß die zwei Rückenteile gefaltet und lege die zwei Lagen des Vorderteils aufeinander. Du hast nun drei Teile: Ein Vorderteil und zwei halbe Rückenteile, je aus zwei Lagen Stoff. Für eine Schnürung vorn und hinten laß Vorder- und Rückenteil gefaltet, so daß Du vier Teile hast: zwei halbe Vorder- und zwei halbe Rückenteile. Der Stoffbruch wird die Kante ergeben, wo die Schnürung ist. Das erspart es Dir, dort zuzunähen und zu versäubern. Eine Naht an dieser Stelle wird sicher schwächer sein als ein Stoffbruch.

Lege die Schnitteile flach hin, streiche die beiden Lagen aufeinander glatt, ohne zu ziehen, so daß Kante auf Kante liegt, und befestige die zwei Lagen entlang der Ränder und mitten in der Fläche mit Stecknadeln aneinander. Stich dabei ganz flach durch, ohne den Stoff hochzuheben, denn sonst würden die Lagen gegeneinander verrutschen. Sind die Lagen so gegen verrutschen gesichert, kannst Du die Teile hochheben, um die Lagen entlang ihrer Ränder und kreuz und quer über die Fläche zusammenzuheften. Die Stiche dürfen ruhig lang sein.

Nähe nun die Teile zusammen und bügle die Nähte möglichst platt in eine Richtung. Im Endeffekt werden die Nahtzugaben der drei Schichten immer gegenläufig liegen, wie im Bild links. Das gleicht die Dicke etwas aus. Warum nicht auseinanderbügeln? Weil dann der ganze Zug nur auf den Fäden der Naht liegt, während hier ein Teil vom Stoff selbst abgefangen wird. Besonders, wenn die Zugaben so breit sind, daß der nächste Stabtunnel die Zugabe nochmal auf den Stoff näht.

Tunnel

Markiere nun die Linien für das Fischbein mit Stift und Lineal. Direkt an den Schnürkanten liegt jeweils ein Stab, dann kommt eine Lücke von ca. 1 cm Breite für die Schnürösen, und dann parallel dazu ein zweiter Stab. Dann erst bestimmst Du die Linie für den schrägsten Stab, der am zweiten Stab endet. Bei reiner Rückenschnürung legst Du in der vorderen Mitte nur zwei senkrechte Stäbe, ohne Lücke (siehe Illustration unten). Wie Du die restlichen Stäbe einplanst, wurde früher schon gesagt. Wenn es Dein erster Versuch ist, führe die Stäbe nicht zu dicht an die Seitennaht, für den Fall, daß Du noch Weite wegnehmen mußt.

Lage der Stäbe bei reiner Rückenschnürung (links) und Vorder-und-Rücken-Schnürung (rechts). Das ausschließlich hinten geschnürte Korsett besteht aus nur einem Werkstück, das andere aus zwei separaten Hälften. Beachte, daß die zweischnürige Variante vier Kanten mit Stab-Ösen-Stab-Kombination hat; die einschnürige hat nur zwei solche Kanten und dafür in der vorderen Mitte zwei bis vier parallele Stäbe nebeneinander - oder ein Blankscheit.
Beide Bildchen sind durch anklicken vergrößerbar.

 

Die Tunnel kann man auf zwei Arten machen:

  1. Man näht zuerst eine Linie, legt dann den Stab möglichst dicht daran an und fixiert ihn mit Stecknadeln. Dann näht man die zweite Linie dicht am Stab entlang.
    Vorteil: Man muß nur eine Linie pro Tunnel anzeichnen; die zweite ergibt sich automatisch und der Tunnel kann nie versehentlich zu eng werden, weil der Stab ja schon drin ist.
    Nachteil: Man kann nicht bequem in einem Gang mehrmals auf und ab stechen und das Stoffstück ist - durch all die schon eingenähten Stäbe - sofort steif, was die Arbeit umso schwerer macht, je weiter man sich von der Schnürkante entfernt. Trick: Man nimmt einen relativ langen Stab, der nur als Muster dient und den man jeweils wieder rauszieht, sobald ein Tunnel fertig ist.
  2. Man mißt aus, wie breit der Tunnel sein muß, damit der Stab reinpaßt, und näht dann entsprechend breite Tunnel. Nach meiner Erfahrung sollte der Tunnel ca. 2 mm breiter sein als der Stab - nicht mehr (sonst rutscht der Stab herum und dreht sich), nicht weniger (sonst paßt der Stab nicht rein).
    Vorteil: Solche Tunnel kann man mit der Maschine nähen, ohne fürchten zu müssen, daß die Nadel in den Stab sticht und dabei abbricht. Macht man den Tunnel von Hand, kann man mehrmals auf- und abstechen und der Stoff zwischen Kante und Naht kann so gefaltet werden, daß bequem in der haltenden Hand zu greifen ist.
    Nachteil: Wenn man die Nähte nicht sehr exakt macht, werden sie an manchen Stellen so weit, daß sich der Stab im Tunnel drehen kann, und an anderen so eng, daß man den Stab kaum oder gar nicht eingeschoben kriegt. Bei maschinengenähten Tunneln ist diese Gefahr besonders groß. Die Anzeichnung für den Tunnel muß also möglichst exakt sein, und man muß ihr möglichst genau folgen.

Fischbeinstäbe

Dann werden die Stäbe eingeschoben. Leg das Fischbeinband so auf den Tunnel, daß das untere Ende 10 mm von der Unterkante entfernt endet, und markiere das obere Ende 10 mm von der Oberkante entfernt. Schneide den Stab auf die entsprechende Länge, knipse die Ecken rund und schiebe ihn in den zugehörigen Tunnel.

Wenn alle Stäbe eingeschoben sind, ist Gelegenheit für eine Anprobe. Die wird aber nicht allzu genau sein, da die Schnürkante in Ermangelung von Schnürösen von einem Helfer zugehalten werden muß. Bei Vorder-und-Rückenschnürung hefte die vordere Schnürkante so auf ein Band, daß Kante an Kante liegt. Falls die Weite reguliert werden muß, kann das nun in den Seitennähten - und nur da - geschehen. Du diesem Behufe hast Du hoffentlich, wie zuvor gesagt, zwischen den Stäben und der Seitennaht Platz gelassen bzw. genug Nahtzugabe geschnitten.

Wenn die Schnürbrust sitzt, werden die Stäbe endgültig eingeschoben und, falls nötig, der Platz bis hin zur Seitennaht mit weiteren Stäben gefüllt. Nun muß noch dafür gesorgt werden, daß sie nicht oben oder unten aus ihrem Tunnel herausrutschen. Lege also an der Ober- und Unterkante entlang jeweils eine Naht in 6-8 mm Abstand zur Kante. Zwischen den Tunneln darf sie recht lose sein, aber immer da, wo ein Stab endet, solltest Du mehrmals hin- und herstechen. Der Stab wird sich im Tunnel bewegen und sich bemühen, diese Haltenaht aufzureiben. Sie sollte deshalb nicht allzu dicht am Stabende sitzen. Je kräftiger sie ist, desto besser ist es. Leinengarn ist besonders gut geeignet.

Wenn Du erstmal nur ein Probeteil machen willst, überspringe ein paar Absätze und steige bei den Schnürösen wieder ein. Die Ösen dürfen dann recht lummelig sein, weil Du sie sowieso wieder auftrennen mußt, wenn Du Oberstoff und Futter auflegst.

Oberstoff und Futter

Schneide Oberstoff und Futter ebenso wie die Basis zu. Denke daran, eventuelle nachträgliche Schnittänderungen an der Basis auch im Oberstoff nachzuziehen. Bei Rückenschnürung das Vorderteil einmal im Stoffbruch und das Rückenteil zweimal mit ordentlich (2 cm) Zugabe an der Schnürkante. Bei Vorder- und Rückenschnürung jedes Teil zweimal mit je ordentlich Zugabe an der Schnürkante. Nähe die Teile zusammen, bügle die Nähte in eine Richtung (genau andersherum als bei der Basis, so daß nicht allzu viele Schichten aufeinanderliegen) und lege sie glatt auf die Basis auf, Nahtzugabe zur Basis weisend und Naht auf Naht treffend. Nähe die Lagen entlang der Nähte auf die Basis und hefte sie entlang der übrigen Kanten fest. Wie oben bei den beiden Basisschichten schön glattstreichen und zuerst stecken! Die ordentliche Zugabe des Oberstoffs wird um die Schnürkante herumgelegt und hinten festgeheftet. Die Zugabe des Futters wird nach innen geknickt und kurz innerhalb der Schnürkante mit Saumstich aufgenäht.

 

Das Bild links - durch anklicken vergrößerbar - illustriert noch einmal zusammenfassend die verschiedenen Stofflagen, von der Innenseite her betrachtet, indem es mehrere Stadien der Verarbeitung kombiniert. Die Lagen sind zur Verdeutlichung quasi aufgeblättert. Schnittkanten sind durch gezackte Linien symbolisiert.

Zu sehen ist das untere Ende der vorderen Mitte im Fall einer Vorder- und Rückenschnürung, d.h. es gibt auch vorn eine Schnürkante. Im unteren Bildbereich sehen wir die doppelte Lage Basisstoff - angedeutet durch eine doppelt gezackte Umrißlinie - mit den Stabtunneln darin. Zwei Stäbe sind unten ein wenig herausgezogen. Zwischen ihnen ist die Lücke für die Schürösen, die es in diesem Stadium noch nicht gibt, weil erst das Futter aufgelegt werden muß. Auf allen Seiten ragt der Oberstoff über die Basis hinaus.

Oben im Bild der fertige Zustand, wo das Futter mit Saumstich auf der umgeschlagenen Zugabe des Oberstoffs befestigt ist, mit einer Schnüröse durch alle Lagen. Darunter ist das Futter nach oben weggefaltet worden (wodurch die weggeknickte Zugabe des Futters sichtbar wird) und der Oberstoff nach rechts. Daß Oberstoff und Stäbe an der Unterkante über die Basis hinausragen, dient nur der Verdeutlichung.

Nun wird es Zeit für die Schnürösen. Authentischerweise müssen sie versetzt angeordnet werden, weil damals nur mit einem Schnurende spiralig geschnürt wurde*. Deshalb sitzen das erste und zweite Loch auf der einen Seite und das vorletzte und letzte auf der anderen dichter beisammen als die anderen, so daß die restlichen Löcher immer gegeneinander versetzt sind. Zum Grund dafür siehe Teil 4. Anders als es im Schnittdiagramm angeben ist, sollte die Schnürung im Rücken nicht tiefer reichen als bis zur Taille. Bei meinen eigenen Schürbrüsten habe ich das lange falsch gemacht, weil ich von einer Vorlage ausging, bei der die Schnürung bis ganz hinunter reichte, aus welchem Grund auch immer. Aber so, wie die Zaddeln seitlich dafür sorgen, daß die Hüfte genug Platz hat, muß natürlich auch der Hintern genug Platz haben - also darf die Schnürung hinten nicht tiefer gehen als bis zur Taille.

Verwende möglichst keine Lochzange! Sie schneidet die Stoffäden durch, und Fadenenden sind schwach. Eine Ahle** drückt die Fäden nur beiseite und bildet sogar einen kleinen Wulst, so daß das Loch nicht so leicht ausreißen kann. Das Bohren der Löcher erfordert zwar einigen Kraftaufwand, aber dafür braucht das Loch nicht allzu dicht umstochen zu werden, um haltbar genug zu sein. Bohre das Loch etwas größer als benötigt. Falls Dein Pfriem nicht groß genug ist, um ausreichend große Löcher zu bohren, weite das Loch z.B. mit einem Kugelschreiber oder einem ähnlich geformten Objekt. Meistens wächst es während des umstechens wieder zu; außerdem verkleinert das Umstechen den Durchmesser ein wenig. Erhaltene Korsetts haben solche gebohrten Löcher, die dann mehr oder minder dicht mit überwendlichen Stichen umstochen wurden (für Knopflochstiche habe ich bisher noch keinen Nachweis gefunden). Manchmal liegt unter den Stichen, um das Loch herum, noch ein Drahtring, aber der ist eigentlich nicht nötig: Ich selber zurre manchmal ganz schön stramm, aber meine Ösen halten das auch ohne Drahtring locker aus. Mit der Zeit leiern sie vielleicht zu ovaler Form aus, aber das macht nichts: Das sieht man an originalen, erhaltenen Exemplaren auch. Der Stab zwischen Ösen und Kante tut ein übriges, um ein Ausreißen zu verhindern.

Jetzt geht es an die Träger. Im Schnitt für das Vorderteil ist ein Teil angegeben, das der Ansatz eines Trägers ist. Das kann nun, da alles andere fertig ist, auf einen Stummel zurückgeschnitten werden. Die Träger werden nämlich nur am Rückenteil angenäht und mit dem Vorderteil durch Schürung verbunden. Dadurch kann man die Trägerlänge variieren.

Die Schulterträger bestehen aus den gleichen Stofflagen wie die Schnürbrust, also einmal Oberstoff, zweimal Basis und einmal Futter. Die Grundform ist weiter oben beschrieben. Lege das breitere Ende der Oberstoff-Lage rechts auf rechts von außen an die Schulterkante des Rückenteils, die gekurvte Kante zu Hals weisend, darauf eine Lage Basis. Hefte die beiden Lagen fest. Lege nun auf die gleiche Weise von innen her zuerst eine Lage Futter rechts auf rechts auf, darauf wieder eine Lage Basis, und hefte durch alle Lagen fest. Siehe Bild links (wiederum durch anklicken vergrößerbar): Unten die Sicht von außen, oben von innen. Daß die beiden Träger-Lagen im Bild nicht genau aufeinanderliegen, dient nur der Verdeutlichung: Eigentlich müssen sie exakt aufeinanderliegen. Wenn Du sauber gearbeitet hast, kannst Du nun die zwei inneren und äußeren Lagen nach oben klappen und die vier Lagen müßten genau aufeinanderliegen.

Wenn dem nicht so nicht, hast Du wahrscheinlich die inneren und äußeren Lagen nicht genau im gleichen Winkel an die Ansatznaht gelegt, d.h. Du mußt den Winkel in einer der beiden Doppellagen verändern. Aber da wir die Lage der Träger sowieso erstmal am lebenden Objekt prüfen müssen, hat das noch Zeit. Bügle die Ansatznaht erstmal ordentlich platt. Zieh nun die Schnürbrust an und lege die Träger über die Schulter nach vorn. Das Ende des Trägers sollte 2-3 cm vom Vorderteil-Stummel entfernt sein. Markiere die entsprechende Stelle und stecke das Trägerende am Stummel fest. Lege die Träger möglichst weit vom Hals weg nach vorn (sonst schauen sie womöglich später unter dem Kleid raus), aber nicht so weit, daß sie ständig von der Schulter rutschen. Je nach der Form Deiner Schultern mußt Du nun nachschauen lassen, ob die Naht zwischen Rückenteil und Träger glatt liegt. Wenn nicht, muß die Naht etwas gekippt werden, bis sie glatt liegt. Für diese Aktion hast Du hoffentlich, wie früher beschrieben, ausreichend Nahtzugabe am Trägeransatz des Rückenteils gelassen. Bei dieser Korrektur kannst Du dann auch eventuelle Differenzen zwischen innerer und äußerer Doppellage ausgleichen. Wenn alles paßt, nähe die Träger richtig am Rückenteil fest und bügle die Ansatznaht ordentlich platt. Hefte die vier Lagen Träger aufeinander und schneide sie auf die soeben bestimmte Länge zurück.

Schneide das Trägerende und den Stummel im Vorderteil rund. Mach in den Stummel und das vordere Ende des Trägers Schnürösen. Da werden Bändchen durchgezogen (Reste des Versäuberungsbandes oder ein Stück Schnürband), um den Träger zu befestigen, wie in den Bildern links illustriert. Dadurch, daß die Teile nicht direkt aufeinandertreffen, kannst du die Länge der Träger mit Hilfe der Bändchen justieren. Man kann in jedes Ende nur eine Öse machen, ins eine Ende zwei und ins andere eine, oder in beide Enden zwei - je mehr Ösen, desto besser wird der Zug verteilt, aber allzuviel Belastung kommt da sowieso nicht drauf. Die Menge der Ösen ist eher eine Frage von Platz (=Breite des Stummels bzw. Trägers), Fleiß und Geschmack als von praktischem Nutzen. Die Bilder zeigen links eine Variante mit zwei Ösen im Vorderteil-Stummel und einer im (schmaleren) Träger, rechts eine Variante mit je zwei Ösen.

Nun werden endlich die Zaddeln auf- und ihre Enden rundgeschnitten, dann kommt das Versäubern der Kanten mit Band. Und nun zeigt sich, warum die Tunnel 10 mm von den Kanten entfernt enden sollen: Dort außen noch das Band angenäht werden muß, 5-7 mm innerhalb der Kante. Zwischen diese Naht und den Stab muß noch die Haltenaht passen, die den Stab vom Band fernhält: Wenn der Stab es schafft, die Naht aufzurebbeln, die das Band hält, mußt Du es immer wieder annähen. Du wirst feststellen, daß es ein ziemliches Gefiesel ist, das Band um das obere Ende der Schlitze herumzulegen. Dagegen ist leider kein Kraut gewachsen.

 

Teil 4: Tragen und Pflege

 

*) Verabschiede Dich bitte spätestens hier von den weit verbreiteten Vorstellungen einer kreuzweisen Schnürung, wie man sie bei Korsetts des 19. Jh. oder bei modernen Schuhen findet: Solche Schnürmethoden waren im 18. Jh. ganz einfach nicht üblich - außer bei rein dekorativen Schnürungen.

**) Es gibt verschieden Sorten Ahlen, z.B. metallene mit rautenförmigem Querschnitt, mit denen man Löcher in Leder bohrt, damit man mit der Nähnadel durchstechen kann. Ich meine aber jene runden Pfrieme, die man meist aus Bein findet und die man früher zumeist für Lochstickerei verwendete. Noch besser sind metallene Ahlen, die einen runden Querschnitt haben, aber einen dicken Holzgriff.