Männeranzug

Teil 6: Anziehen, Tragen, Pflege

 

Es gab zwar Unterhosen, aber bis um 1800 herum waren sie nicht verpflichtend. Aus hygienischen Gründen ist es sinnvoll, trotzdem eine zu tragen. Falls Du eine historische welche tragen willst: Mach das gleiche in Grün wie die Anzughose, nur ohne Taschen, aus Leinen. Das eine verpflichtende Stück Unterwäsche ist das Hemd, das so lang ausfällt, daß es die Familienjuwelen vor dem evtl. kratzigen Hosenstoff schützt bzw. den Hosenstoff vor eventuell nicht ordentlich abgeputzten Körperflüssigkeiten. Wichtig: Das Hemd ist Unterwäsche, wird also möglichst nicht hergezeigt, mit Ausnahme des Jabots und der Ärmelenden.

Folglich läuft ein Herr nicht in nur Hemd und Hose herum, denn damit wäre er (ebenso wie eine Dame, die nicht zumindest eine Jacke über dem Korsett trägt) halbnackt. Den Rock abzulegen, war zumindest in Gesellschaft von Damen nicht üblich. Selbst im eigenen Heim trug der Herr, wenn er den Rock ablegte, zumindest einen Hausrock (Banyan). Alles andere hätte einen Ruch gehabt wie heute eine Kombination von Jogginghose, Feinripp-Trägerhemd und Adiletten. Sogar der alte Schwerenöter Casanova pflegte die Hitze der Nacht zu übertreiben, bevor er von der zu Verführenden die Erlaubnis einholte (!), den Rock ablegen zu dürfen. Da man heute andere Vorstellungen von Anstand hat, ist es gerade recht, daß die Hose ohne Weste darüber mit ihrem Sackarsch etwas blöd aussieht, dito die Weste ohne Justaucorps darüber mit ihrer Schnürung und dem sehr einfachen Rückenstoff: Die Eitelkeit verhindert hoffentlich auch beim modernen Träger, daß er sich in der Öffentlichkeit vergißt.

Also weiter im Text: Zum Anzug gehören überknielange Strümpfe, die denen der Frauen genau gleichen und hinten eine Naht haben. Am Anfang des Jahrhunderts und bis um 1750 herum werden die Strümpfe oft (nicht immer) über den Hosensaum bis knapp übers Knie gezogen, danach eigentlich immer darunter. Bei einer heutigen Replik eines Anzuges bis ca. 1760 würde ich die darunter/darüber-Frage davon abhängig machen, wie gelungen der Hosensaum ist: Wer keine Knieschnallen hat oder wessen Hose über Gebühr pludert, ist evtl. mit darübergetragenen Strümpfen besser dran, da er so den Mangel kaschieren kann. Da die langen Strümpfe zum rutschen neigen, wenn man sie drunter trägt (drübergetragene halten durch die Reibung am Hosenstoff), müssen sie mit Strumpfbändern fixiert werden. Die können, wie bei Frauenstrümpfen, dekorativ sein, aus Leder mit kleiner Schnalle, oder schlicht und billig aus beliebigem nicht dehnbarem Band, das zur Schleife gebunden wird. Man muß nur aufpassen, daß die Schleife unter dem Knieband bleibt und nicht hervorlugt. Die einzig sinnvolle Stelle für ein Strumpfband ist die schmalste Stelle des Unterschenkels, zwischen Knie und Wade.

A propos Wade: Nicht nur die Frauen mogelten, sondern auch die Männer. Das gilt nicht nur für die Wattierung, die eine geschwellte Brust vortäuscht: Wer nicht so wohlgeformte Waden hatte wie dereinst Rummenigge, half auch dort mit Wattierung nach, die entweder als Kissen unter dem Strumpf umgebunden oder in diesen eingearbeitet wurde. Die schöne Wade im Kniestrumpf ist einer der Hauptgründe, warum heutige Frauen so gern Männer im Rokoko-Anzug sehen. Jungs, hört auf, die Männermode des Rokoko für "irgendwie schwul" zu halten, und kapiert endlich, daß sie ungemein sexy ist!

Verzeihung, ich schweife ab... ;)
Hemdkragen hochschlagen, Halsbinde umlegen. Hose über das Hemd ziehen, zuknöpfen. Knieschnallen schließen. Evtl. hinten fester oder lockerer schnüren lassen. Weste überziehen, nur unterhalb des Brustbeins zuknöpfen. Evtl. hinten nachschnüren, so daß sie straff, aber nicht eng sitzt: Die Knopflöcher sollen natürlich nicht spannen. Jabot herausziehen, so daß es zwischen den Vorderkanten hervorquillt. Justaucorps überziehen und Ärmelenden bzw. die Volants daran herausziehen. Nun die Schuhe, Dreispitz und... voilà!

Aber, werte Herren, denkt daran: Währen Frauen in ihren großen, unter dem Rock verborgenen Taschen problemlos Weinflaschen mit sich führen können, dürft Ihr Eure Rock- und Westentaschen nicht beliebig füllen, denn das verdürbe die schöne Linie. Betreibt man solches dauerhaft, verformt sich der Stoff schon bald und bleibt selbst dann beutelig, wenn die Tasche leer ist. Überlegt also wohl, was Ihr wirklich mitführen müßt. Taschenuhr in der speziellen Tasche in der Hose, ein Schnupftuch, das Geld vielleicht in einem Etui, das man auch hinter den Ärmelaufschlag stecken kann - mehr sollte nicht nötig sein.

Was die Pflege des Anzuges betrifft: Einen aus Wolle mit filziger Oberfläche kann fast nichts umbringen, außer Glut und Feuer. Hat man die Wolle vor Verarbeitung in die Waschmaschine geschmissen und ordentlich heiß gedämpft, kann man den fertigen Anzug so heiß und feucht bügeln, wie man will. Waschen sollte man, wenn irgend möglich, meiden, da sonst die Leineneinlagen verkumpeln, und weil sie innendrin sind, kann man sie nicht vernünftig glattkriegen. Die Wattierung, so vorhanden, wäre nach einer Wäsche völlig unbrauchbar. Schmutz wird, sobald er trocken ist, ausgebürstet. Knicke verschwinden, wenn man den Anzug nach dem Duschen ins feuchte Badezimmer hängt oder ihn - notfalls mehrfach - in der feuchten sommerlichen Nachtluft aufhängt. Das vertreibt auch die Gerüche, die sich darin festgesetzt haben mögen.

Seide ist weitaus empfindlicher. Lies bitte diese Seite zum Thema "Seide waschen". Da ist der beste Rat, sie schlicht nicht schmutzig zu machen. Bügeln kann man sie gnadenlos bei höchster Temperatur und vollem Dampf. Ist sie nur leicht verknittert, hängt man sie in feuchter Luft auf.

Variation: Culotte à la bavaroise

Friday, 03-May-2013 16:47:34 CEST