Wahl der Kleiderfarben

 

In einem undatierten, aber dem Frontispiz nach zu urteilen auf die frühen 1880er zur datierenden Modebüchlein* werden einige Hinweise zur Farbwahl für Kleider gegeben, die vor allem deshalb interessant sind, weil sie u.a. die Beleuchtung mit Kerzen- oder Gaslicht berücksichtigen, an die heute natürlich keiner mehr denkt – die aber für eine glaubwürdige Nachahmung wichtig sind. Besonders, wenn man auf einen authentisch beleuchteten Ball gehen will.

NB: Für das Verständnis des folgenden ist es wichig, den Farbkreis vor Augen zu haben.

Zunächst postuliert die Autorin, "stets nur solche Farben zusammenzustellen, welche nach den Lehren der Physik Weiß bilden." (S.90) Damit meint sie die drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau, und da drei Farben in einem Anzug nicht gut und halbwegs ausgewogen zusammenzubringen sind, ersatzweise die Kombination der Komplementärfarben, also Rot mit (Blau+Gelb)=Grün etc.:
Rot Grün
Gelb Violett
Blau Orange

 

Das erscheint zunächst einmal etwas unrealistisch: Damals wie heute würde man bei der Kleiderwahl eher davor zurückschrecken, solch knallige, scharf kontrastierende Farben zu kombinieren. Aber: "Alle existirenden Farben lassen sich mit Weiß oder Schwarz zusammenstellen." Gleiches gilt für Grau**. So darf man z.B. straflos Schwarz und Rot oder Blau und Weiß in einem Anzug kombinieren, aber auch eine oder alle Kleiderfarben als Mischung mit Schwarz, Weiß oder Grau wählen.

Und schon wird ein Schuh daraus: Grau-Grün harmoniert tatsächlich wunderbar mit einem bestimmten Ton von Rosa (Rot+Weiß), Rotbraun (Rot+Schwarz) mit Moosgrün (Grün+Schwarz) etc. Und natürlich muß man auch nicht reines Rot mit reinem Grün kombinieren, sondern kann das Rot Richtung Blau verschieben (Rotviolett) und im Gegenzug das Grün Richtung Gelb (Gelbgrün). Mildert man die beiden letzteren mit Schwarz bzw. Grau ab, kommt eine durchaus harmonische Kombination heraus. Blau und Braun (Orange+Schwarz) war eine beliebte Farbkombination der 1860er.

Graugrün Rosa
Rotbraun Moosgrün
Rotviolett Gelbgrün

 

 

"Diese Beobachtungen gehen indessen davon aus, daß die Farben von weißem Sonnenlichte beleuchtet werden. " Zwar gelten die obigen Regeln auch bei Kerzen- oder Gaslicht, aber "Wenigen ist wohl die Erfahrung erspart geblieben, daß sie sich von einer Toilette, einem Kopfputz, einer Schärpe eine herrliche Wirkung versprachen und arg getäuscht wurden, daß Dekorationen und Tapeten ihrer für eine Abendgesellschaft bestimmten Salons am Tage einen glänzenden, lebhaften Eindruck machten, beim Schein der Kerzen aber erblaßten und unscheinbar, matt oder schmutzig und verblichen erschienen." (S.92) Völlig zurecht weist die Autorin darauf hin, daß künstliches Licht eine andere Farbzusammensetzung hat als Sonnenlicht, was sich auf die Wirkung der Stoffarben auswirkt. Die starken Gelb- und Rotanteile von Kerzen- und Gaslicht wirken so, daß sie die komplementären Anteile der Stoffarbe, also von Violett über Blau und Grün, in Richtung von Grau und Braun verschieben.

"Dazu gehört vor allem das Blau, das den ganzen Reiz und Schmelz, den ihm das Tageslicht verleiht, bei abendlicher Beleuchtung verliert, wodurch den Blondinen, welche ohnehin in der Auswahl der Farben ziemlich eingeschränkt sind und das Blau fast nicht entbehren können, viel Verlegenheit bereitet wird. Diejenigen, die es auf alle Gefahr hin damit versuchen wollen, müssen wenigstens Ultramarin wählen, das zwar sehr stark dunkelt und viel von seiner Intensität verliert, aber doch immerhin blau bleibt."

Von Blau, vor allem von Vergißmeinnichtblau, wird also weitgehend abgeraten. Stattdessen wird zu Grün geraten, dessen ins Bläuliche spielende Varianten bei Kunstlicht weniger "schwer zu behandeln" seien als bei Tag. "Ein frisches, jugendliches Gesicht könnte sie sogar ohne Bedenken zur Coiffure benutzen, was bei Tage zum mindesten gewagt zu nennen wäre." (S.94)

"Nichts entschädigt indessen für den Wegfall des Violett, welches zu stark dunkelt und zu sehr geschwächt wird, als daß seine Verwendung auf einen Effekt rechnen könnte."
"Dagegen bleibt Roth eine der dankbarsten Lichtfarben, besonders in den Nüancen von Scharlach und Zinnober, die eine äußerst feurige Wirkung vermitteln. Die Purpurfarben sind weniger zu empfehlen; sie verlieren den blaulichen Schimmer und nähern sich dem Roth, wodurch sie ihren eigentlichen Charakter verlieren. Auch die mit Gelb versetzten Farben verändern sich, indem sie mehr nach Gelb hinüberneigen. Orange wird fast ganz gelb. Das Gelb selbst, soll es von glücklicher Wirkung sein, darf nicht zu hell sein und wird am besten aus der Schattirung des Goldgelb gewählt werden." Da weiße Stoffe unter Kunstlicht gelblich wirken, kann man vergilbte Stoffe und Handschuhe problemlos zu Abendgesellschaften tragen.

Fazit: Wer eine Abendrobe für einen authentisch beleuchteten Anlaß zu machen gedenkt, sollte in Frage kommende Stoffe vorher bei Kerzenlicht betrachten.

 

*) von Sydow, Johanna. Moden- und Toiletten-Brevier. Unentbehrliches und Entbehrliches aus dem Gebiethe von Tracht und Mode, Toilette und Putz, Zierrath und Schmuck. Leipzig: Verlag Otto Spamer, o.J. (Hervorhebungen von mir.)

**) In der Malerei gelten reines Weiß, reines Schwarz und alle Mischungen der beiden nicht als Farben, sondern nur als Helligkeitswerte. Sie sind daher neutral.