Herstellung einer Taille

Teil 4: Versäubern

 

Versäubern ist ein erschreckendwichtiger Schritt bei der Kleidung des späten 19. Jahrhundert. Hatte man im 18. und selbst im mittleren 19. Jh. die Nahtzugaben noch fröhlich vor sich hin fransen lassen, sofern es nicht an die Substanz ging, so war man nun über-ordentlich. Daher hat das Versäubern ein eigens Kapitel verdient.

Die Zugaben aller gebogenen Nähte (auch die am Ellenbogen) müssen vor dem Versäubern in regelmäßigen Abständen dreiecksförmig eingeschnitten werden (siehe Bild rechts). Deshalb ist es auch so wichtig, sich vorher noch einmal des richtigen Sitzes zu vergewissern, denn wenn die Schnitte gemacht sind, kann man die Naht nicht mehr auslassen. Die vorderen Abnäher werden bis ca. 2 cm vor der Spitze entlang ihrer Mitte aufgeschnitten, auseinandergebügelt, die Zugaben zurückgeschnitten und ebenso eingeschnitten wie gebogene Nähte.

Nun müssen die Nahtzugeben versäubert werden, weil sie nicht, wie heutigentags, zwischen Futter und Oberstoff versteckt sind. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Neigen Oberstoff und Futter nicht besonders zum Fransen, reicht es, sie auf die gleiche Breite zurückzuschneiden und mit überwendlichen Stichen zu überfangen. Neigt nur einer zum fransen, sollte man die Kanten entweder mit darum herumgelegten seidenen Nahtbändchen versäubern oder die Zugaben gegeneinanderschlagen und überwendlich oder mit Vorstich zusammennähen wie im Bild oben rechts.

Versäuberung eines Seidenköpers
mit Zickzackschnitt

Versäuberung mit
untergeschlagenen Kanten
(Seidentaft und Baumwollchintz)

Abnäher mit aufgesetzten Halbtunneln
und überwendlicher Versäuberung.
Beim unteren Tunnel schaut am linken Ende
der Fischbeistab heraus.

 

Ein Originalteil - das blaue, das hier so oft abgebildet ist - war anders versäubert, als die zeitgenössischen Anleitungen es empfehlen: Die Kanten waren zwar gegeneinandergeschlagen, aber man sah keine Stiche, die sie zusammenhielten. Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt, ist die: Die Schneiderin war faul und schlau. Zusammen ergibt das: Effizient. Sie hat Oberstoff und Futter rechts auf rechts gelegt und sie ca. 1,5 cm außerhalb der Nahtlinie zusammengenäht, dann gewendet, die Nähte ausgebügelt und dann erst die Abnäher gemacht und die Teile zusammengenäht. Das ist, wohlgemerkt, nur meine Vermutung, aber wer einmal die Feierabende einer ganzen Woche (oder waren es zwei?) nur mit Versäubern zugebracht hat, kann sich dem Charme dieser Idee kaum entziehen. Eine Unklarheit allerdings dämpft die Begeisterung: Auch die dreieckigen Einschnitte sind so verarbeitet. Das heißt, man müßte in regelmäßigen Abständen Zacken in diese erste, versäubernde Naht machen. Funktioniert das überhaupt? Kubbelt da nichts nach dem Wenden? Man muß es ausprobieren.

Gebogene Vorderkante mit Einschnitt in Taillenhöhe.
Das schwarze Band gibt den Knöpfen Halt.
Am rechten Bildrand die Unterkante.

Versäuberung von Unterkante und Schößchen

 

Die beliebteste zeitgenössische Methode zur Versäuberung der Vorder- und Unterkanten ist ein Beleg. Wenn Ober- und Futterstoff beide nicht allzu fest sind, kann man dabei noch einen Streifen festeren Stoffes mitfassen, um die Kanten zu stablilisieren. Vor allem für die Vorderkanten ist das ratsam; umso mehr, wenn man einen Knopfschluß macht: Knöpfe wie Knopflöcher brauchen den Halt. Für gerade Kanten nimmt man einen geraden Stoffstreifen, für alle anderen einen Schrägstreifen. Man näht den Streifen von außen rechts auf rechts schmal an und schlägt ihn dann nach innen um. Man kann ihn so umlegen, daß die Naht die Kante bildet, d.h. die Zugabe muß felsenfest nach innen gebügelt werden. Oder aber man legt den Streifen um die Zugabe herum, so daß einige Milimeter davon außen sichtbar bleiben, und befestigt ihn mit Vorstichen genau in der Naht, mit der man den Streifen außen angenäht hat. Das nennt man dann Paspelvorstoß. Normalerweise muß man für eine Paspel eine Schnur einlegen, aber oft reicht die Zugabe als "Einlage", besonders, wenn ein Zusatzstreifen hinzukommt. Egal ob Paspel oder Naht-als-Kante: Der Versäuberungsstreifen wird nach innen geglättet, die Kante untergeschlagen und mit Saumstichen nur (!) am Futter befestigt. Die Befestigungsnaht darf nur dann den Oberstoff mitfassen, wenn dieser recht kräftig ist, denn sonst kann schon ein einzelner versehentlich durchgestochener Stich den Oberstoff häßlich verziehen.

Wenn im Rücken Schößchenfalten eingelegt werden müssen, werden die Oberkanten der Falten ebenfalls nur am Futter angeheftet. Die Oberkanten sollten mit einem Streifen Oberstoff abgedeckt werden, der mit untergeschlagenen Kanten wiederum nur am Futter befestigt wird.

 

Teil 5: Kleinzeug

 

*) Zumindest bis zum Ellenbogen. Alles, was unterhalb davon kommt, kann man am Schluß noch ändern. Aber der Knick des Ärmels muß genau am Ellenbogen sitzen.