Die Herstellung von Paniers (Reifröcken)

 

Reifrock-KarikaturDer Begriff Panier wird je nach Autor unterschiedlich verwendet. Bei mir ist es der Oberbegriff für Rockunterbauten des 18. Jahrhunderts, unabhängig von der Form. Woanders unterscheidet man Paniers (bei mir: große Paniers) von Poschen/Pochen/Poches.

Bevor Du anfängst, überlege, welche Panierform Du brauchst. Rock und Kleid müssen in Weite und Saumverlauf auf das Panier angepaßt werden, so daß man später nicht einfach ein größeres oder kleineres Panier dazu tragen kann: Der Saum würde schief hängen. Die Entscheidung für eine Panierform muß also zuerst fallen.

Welche Form richtig ist, ist von mehreren Faktoren abhängig: Vom Zeitrahmen, dem Zweck des Kleides (informell, formell, höfisch) und dem darzustellenden Sozialstatus. Dann gibt es zwei Dimensionen zu beachten: die vertikale (Aufschnitt oder Silhouette) und die horizontale, sprich welche Form das Stück Boden hat, das der Rock bedeckt, wie in dieser Skizze:

Die relativen Größen der Ovale sind nicht zufällig, aber auch nicht exakt: In den 1740ern waren die Paniers am breitesten und flachsten. Daumenregel: Je formeller der Anlaß und je höher auf der sozialen Leiter die Trägerin, desto breiter darf das Panier sein. So trägt eine Frau niederen Adels zur Hochzeit möglicherweise ein überdurchschnittlich großes Panier, das für eine Dame des Hofadels fast alltäglich ist. Eine Frau der bürgerlichen Mittelschicht hingegen würde wohl eher wirtschaftlich denken und selbst zur Hochzeit das gleiche Panier wählen wie im Alltag, so daß Kleid und Panier danach als Sonntagsstaat getragen werden konnten.

Die Vertikale ist etwas schwieriger. In den 20ern/30er war sie eher kuppelförmig, in den 40ern etwas eckiger (trapezförmig, manchmal auch regelrecht rechteckig), in den 50ern und 60ern wiederum kuppelförmig, aber insgesamt kleiner, in den frühen 70ern relativ unauffällig und oft schon durch schlichte Hüftpolster ersetzt. Ab den späten 70ern waren nur noch Hüft- und Pokissen üblich*. Die breite Panierform fand jedoch für formelle Kleidung (Hochzeit, Hof) bis in die 80er hinein Verwendung, in manchen Regionen sogar noch viel später. Vor allem vom englischen Hof ist bekannt, daß die offizielle Hoftracht auch nach 1800 noch ein Panier verlangte – was im Verein mit der zu jener Zeit üblichen hohen Empiretaille äußerst dämlich aussah.

Die folgende Anleitung unterscheidet große Paniers, also etwa wadenlange Reifröcke, wie sie bis um 1750 üblich waren, und Poches, also zwei getrennte Hüftkörbe. Daneben gab es von ca. 1750 bis 1780 noch die sogenannten Springröcke, die von der Machart her den großen Paniers ähneln, aber nur bis zur Hüfte oder bis knapp oberhalb der Knie reichen. Da der Rock ab der Hüfte ohne Stütze ist, ergibt ein kurzer Springrock eine eher eckige Form, während ein knapp knielanger eine etwas ausgestellte Form ergibt, wie sie auch durch Poschen erzielt wird. Den Schnitt für einen Springrock kann man leicht aus dem für ein großes Panier ableiten, indem man sich auf die obersten zwei Reifen (einen schrägen und einen horizontalen) beschränkt.

 
Großes, trapezförmiges Panier Springrock Eckiges Panier Poschen

 

Das Material

Für alle Varianten

Paniers und Poschen waren meist aus schlichtem, naturfarbigem und mittelstarkem Leinen, das bestenfalls gechintzt war. Exemplare aus gestreiftem Leinen gibt es relativ häufig und auch ein klein kariertes Exemplar ist mir bekannt. Anderweitig gemusterter Stoff und anderes Material ist mir bisher nicht begegnet.

Für große Paniers

Ca. 20 m Stoffband (17 bis 20 mm breit) für Tunnel und ebensoviel Stahlband, ca. 12 mm breit und 1 mm dick. An Basisstoff ungefähr 350 x 90 cm oder 250 x 150 cm. 150-200 cm Taillenband (10-20 mm breit). Endkappen für das Stahlband oder Isolierband zum umkleben der Enden, damit sich die scharfen Kanten nicht durch den Stoff bohren.

Für Poschen

Ca. 4 Meter Stoffband (17 bis 20 mm breit) für Tunnel, und ebensoviel Stahlband (1x12 mm). Unter leichten Stoffen reichen auch 1x10 mm Plastikband, aber Stahlband ist besser. An Basisstoff ungefähr 130 x 80 cm. 150-200 cm Taillenband (10-20 mm breit). Endkappen für das Stahlband oder Isolierband zum umkleben der Enden.


Der Schnitt

Poches für ca. 1750-75. Ein Schnitteil ist ein Hüftkorb; wir brauchen also zwei.

Hauptteil
Boden

Große Paniers für ca. 1730 bis 1760 (höfisch bis 1780). Der Schnitt ist verwendbar für quaderförmige (durchgehende Linien) oder trapezförmige (gestrichelt), kurze oder lange Röcke. Schneide jedes Teil viermal.
Achtung: Für eher runde (wie um 1720) oder schmal-ovale Formen (um 1750-60) ist dieser Schnitt nicht geeignet! Die Stoffteile sind so angelegt, daß sich immer ein mehr oder minder flaches, in jedem Fall aber breites Panier ergibt.

Hauptteil
Hüftteil

Für Info darüber, wie man von diesem Diagramm zu einem originalgroßen Schnitt kommt, lies bitte diese Seite.

Variationen:

Wenn man den oberen Teil (also den oberhalb des obersten Reifens) stärker auf das Taillenband reiht bzw. faltet, wird der oberste Reifen hochgezogen - das gilt für Paniers ebenso wie für Poschen. Der gleiche Effekt ergibt sich, wenn man den oberen Teil niedriger schneidet. Experimentiere mit verschieden dichter Faltenlegung, bis das Panier die gewünschte Form hat. Schneidet man obendrein die Seitenlinie gerade, kommt eine rechteckige, kastige Form heraus, wie man sie aus den 1740ern für formale Kleider kennt. Die Begradigung der Seitenlinie erfordert auch, daß der schräge Reifen ein wenig verlängert wird.

Andersherum kann man an der Taille weniger einreihen und/oder den oberen Teil höher schneiden, um eine gerundetere, kuppelige Form zu erzielen. Im Verein mit einer schräg geschnittenen Außenkante und evtl. einem kürzeren diagonalen Reifen ergibt sich eine eher kuppelige Form, wie sie um 1730-40 üblich war.

Die Skizze zeigt links oben eine eckige Form mit stark gereihter Taille und etwas geraderen – aber nicht ganz geraden – Seiten. Rechts etwa die Form, für die der Schnitt ist - wenn man das obere Teil stark einreiht, geht es von der Taille aus erstmal horizontal weg. Unten eine eher kuppelige Form mit verkürztem diagonalem Reifen.

Auch bei Poschen hat das stärkere oder schwächere Einreihen, verlängern oder verkürzen des oberen Teils den Effekt, eine eckigere bzw. rundere Form zu erzielen.


 

Die Methode

Poschen

Praktische Teile, die man gleichzeitig als überdimensionierte Taschen verwenden kann, weshalb sie auf Englisch "pocket hoops" heißen. Extra Taschen werden dadurch unnötig.

Taschenschlitz durch schmales zweifaches Umschlagen oder mit aufgesetztem Band versäubern. Entlang der mit "tunnel" bezeichneten Linien Band an beiden Rändern entlang aufsteppen. Man kann das Band des mittleren Tunnels etwas länger lassen und dann beim Tragen vorn und hinten zusammenbinden, damit die einzelnen Körbe nicht zu sehr unter dem Gewicht des Rockes verrutschen. Ebensogut kann man natürlich nachträglich Bänder dafür anbringen. Die Naht C-B schließen und den Boden mit der Geraden D-B beginnend einnähen. E auf E stecken und mit der Rundung weitermachen. Oberen Rand in Falten legen und heften. Das Taillenband um die Taille legen und vorn zur Schleife binden. Beide Seiten (d.i. da, wo ein Kleidungsstück die Seitennähte hätte) markieren. Die gereihten oberen Teile beider Körbe so aufs Taillenband nähen, daß die Taschenschlitze an den markierten Seiten zu liegen kommen.

Sechs Stücke Stahlband auf ca. 58 cm Länge zuschneiden. Endkappen auf die Enden setzen oder (falls man keine hat) mit Isolierband abkleben. Band in die Tunnel einschieben und die Enden mit kräftigen Nähten (vorzugsweise aus starkem Leinengarn) verschließen. Fertig!

Ab Konfektionsgröße 44 sollten die Querdimensionen ein wenig verlängert werden.


Großer Reifrock

Beachte beim Zuschneiden, daß das Panier nicht wesentlich länger als knielang sein sollte, maximal bis zur mittleren Wade. Je länger und flacher das Panier ist, desto größer ist die Gefahr, daß man bei jedem Schritt mit dem Schienbein gegen den untersten Reifen stößt (oder, schlimmer noch, mit Schienbein und Ferse), was ziemlich unelegant aussähe.

Alle Teile zusammensetzen, dabei eine senkrechte Naht (egal welche) offenlassen. Die Strecke A-B des Hüftteils an der Oberkante des Hauptteils (zwischen dessen A und B) festnähen. Nähte flachbügeln, evtl. runtersteppen. Entlang der mit "Tunnel" bezeichneten Linien Band an beiden Rändern entlang aufsteppen. Die Tunnel sollten nicht weiter sein als nötig, damit man das Stahlband bequem einschieben kann - aber natürlich auch nicht zu eng. Die Tunnel sollten ca. 3 cm vor der noch offenen Naht enden. Von A aufwärts ist die hintere bzw. vordere Mitte. Die hintere Mitte sollte man ein wenig höher schneiden als im Schnitt angegeben, für's Kreuz. Vorne hängt das Panier gern von allein ein wenig tiefer. Die Strecke C-A' wird seitlich eingereiht bzw. in Falten gelegt, während das Hüftteil um die vordere/hintere Mitte herum glatt bleibt. Das Taillenband um die Taille legen und seitlich zu einer Schleife binden. Vordere und hintere Mitte markieren. Die gereihte Kante wird so auf das Taillenband aufgenäht, daß die vordere und hintere Mitte auf die Markierungen am Taillenband treffen.

Die letzte Naht schließen, dabei nicht die Tunnelenden mitfassen! Miß die Länge der Tunnel aus und schneide Stahlband so zu, daß jedes Stück 40-50 cm länger ist als der Tunnel. Stahlband in die Tunnel schieben. Da die Reifen länger sind, werden sie etwas überlappen und müssen das auch, da sich an der "Nahtstelle" sonst ein Knick ergibt. Schiebe die Überlappung etwas von der Stelle weg, wo das Tunnelende offen ist, damit nicht irgendwann ein Ende rauskrabbelt. Nun kannst Du die letzten paar Zentimeter der Tunnel festnähen.

Nun wäre das Panier im Grunde fertig, aber wenn Du es anziehst, wirst Du feststellen, daß die Form mehr oder minder zum Kreis hinstrebt, vor allem unten. Die ovale Form erreicht man durch Haltebänder im Inneren. Je nach Länge und Lage der Bänder wird die Panierform anders. Längere und/oder weiter außen angebrachte Bänder ergeben eine gerundete, kürzere und/oder weiter innen angebrachte eine eher flache Form. Schräg angebrachte Bänder, die hinten weiter auseinander und vorn weiter zusammen sind, bewirken einen nierenförmigen Querschnitt.

Die Skizze zeigt den Querschnitt mit jeweils verschieden angebrachten Bändern.

Schneide 15-20 cm breite Bänder von 40-50 cm Länge und stecke sie in unterschiedlicher Länge und Lage senkrecht zwischen dem 3. und 4. Reifen fest, bis Du mit der Form des Paniers zufrieden bist. Bedenke dabei, daß die Bänder weit genug auseinander sein müssen, daß sie den Beinen nicht in die Quere kommen. Nähe die Streifen schließlich (wiederum senkrecht) am Basisstoff fest. Die Bänder sind deswegen so breit, weil je nach Stärke der Reifen ziemlich viel Zug daran anliegen kann. Die Verteilung der Belastung über eine größere Breite sorgt dafür, daß der Stoff nicht ausreißt.

 

Was danach kommt

Trüge man den Kleidrock direkt über dem Panier, würden sich die Reifen deutlich außen abzeichnen. Dieser Effekt ist durchaus nicht erwünscht. Über das Panier gehört also ein Unterrock, der in Schnitt und Methode der Jupe entspricht. Vor allem bei großen Paniers reicht nicht jeder Unterrock, um die Reifen zu verbergen: Die Zwischenlage, die der Unterrock bildet, muß eine gewisse Dicke haben. Das läßt sich einerseits durch dicke Stoffe erreichen (z.B. Molton und Wollflausch), die aber meist recht schwer sind, oder aber durch dünne, leichte, aber etwas steife Stoffe, die so stark gefältelt werden, daß sich die Dicke durch die Falten ergibt. Denkbar hierfür wären z.B. Seidenorganza, Taft oder kräftig gestärkte Pongée. An dieser Stelle experimentiere ich noch.

Viele fragen sich, wie man so ein großes Panier lagern soll. Wenn Du Deines fertig hast, ist Dir sicher schon aufgefallen, daß es, wenn man es fallenläßt, flach auf dem Boden liegt wie eine Pfütze. Das ist bereits Stufe eins der platzsparenden Lagerung. Nun muß man es nur noch um die Mitte fassen und ein Ende des Taillenbandes darum schlingen, so daß die Reifen schmal zusammengebunden sind. So kann man das Panier z.B. auf den Schrank oder Schrankboden legen. Meist ergibt es sich, daß die Schmalstelle näher an einem Ende des Paniers ist. Dieses Ende kann man über einen Kleiderbügel hängen oder ein Band darumbinden, das man an der Kleiderstange befestigt.

 

*) Eine schöne Übersicht über verschiedene Pokissen-Rekonstruktionen und welche Formen sie ergeben, gibt es bei Démodé.

Monday, 07-Apr-2014 22:10:54 CEST


 

Monday, 07-Apr-2014 22:10:54 CEST