Die Herstellung einer Contouche

Teil 1: Vorbereitungen und Material




Der Stoff

Welche Stoffe allgemein geeignet sind, ist hier nachzulesen. Besonders geeignet ist Seide in den Webarten Taft, Atlas AKA Satin, Brokat, Damast und Moiré sowie (außer in Preußen) buntbedruckte Baumwollstoffe. Ein Seidenstoff sollte lieber steif als fließend sein, d.h. ein mittlerer bis schwerer Taft (ab ca. 100g/m², aber nagel mich nicht auf den exakten Wert fest) ja, ein leichter Futtertaft (um 70 g /m²) nein. Duchesse Satin ja, Crêpe Satin nein. Wer keinen großen Wert auf Authentik legt, kann es mit Kunstseide versuchen, allerdings muß man da sehr aufpassen, daß der Stoff nicht auf den ersten Blick künstlich aussieht. Acetat-Tafte wirken oft recht "echt", sind aber im Laden um die Ecke nur wenig billiger als ein Seidentaft aus dem Internet (z.b. bei www.puresilks.biz).

Ich wurde mal gefragt, ob der Vorhangstoff, den sie Besucherin sich gekauft hatte, nicht zu schwer sei. Schwieriges Thema. Daß Vorhangstoffe eher selten aus Seide und mithin unauthentisch sind - geschenkt. Da möge eine jede auf ihrem Faß selig werden, sofern sie sicherstellt, daß sie nicht auf Verantaltungen mit hohem Authentik-Anspruch negativ auffällt. (Es gibt ja Kunstseiden, die täuschend echt aussehen.) Das Gewicht an sich sagt erstmal wenig darüber aus, ob ein Stoff geeignet ist. Wie oben erwähnt ist ein schwerer Taft geeigneter als ein leichter, aber das ist nur ein Vergleich zweier Stoffe aus dem gleichen Material mit gleicher Webart. Als Daumenpeilung möge dienen, daß meine schwerste Française aus bedruckter Baumwolle 2,5 kg wiegt. Das sind ca. 200g/m². Das Gewicht habe ich nie als Probhlem empfunden, die Steifheit des Stoffes hingegen ist grenzwertig.

Wahrscheinlich war die Contouche aufgrund ihres hohen Stoffverbrauchs für das einfache Volk (also alles unterhalb einer Kammerzofe in höheren Diensten) unerschwinglich, so daß Gemeine eher eine jackenartige Kurzversion (siehe Kap. 8, Variationen) trugen.

Wer's kurz und schmerzlos will: Wer den hier verwendeten Schnitt gut auf einen einfarbigen Stoff puzzelt, nicht größer ist als 165 cm und keine Volants als Verzierung aufsetzen will, kommt insgesamt mit 7-8 Metern @ 150 Breite oder 10-12 Metern @ 90 aus. Bei gemusterten Stoffen 1-2 Meter mehr, je nach Breite und Muster.

Du denkst jetzt vielleicht, daß das verdammt viel Stoff ist. Ja, ist es. Du denkst vielleicht, daß das übermäßig großzügig ist, und daß Du mit weniger auskommst, weil Du ja klein und schlank bist. Nein, glaub mir: Du wirst, wenn überhaupt, nicht viel übrigbehalten. Ich gehe ja eh von eher kleinen (<165 cm) Figuren aus, und schlank oder dick spielt kaum eine Rolle. Ich habe jetzt fünf Contouches gemacht und acht weitere machen geholfen, und jedesmal wieder stelle ich fest, daß großzügiger Stoffkauf viel Kopfzerbrechen erspart. Immer wieder erlebe ich es, daß jemand aus Geiz oder Geldnot mit dem Stoff knappst und dann dumm aus der Wäsche schaut, weil es hinten und vorn nicht reicht. Wenn Du wirklich in Geldnöten bist, solltest Du

Punkt 2 und 3 lassen sich schwer kombinieren, außer Du erwählst dir 1750 plusminus 5 Jahre. Wobei die kleineren Paniers wahrscheinlich (reine Vermutung!) mehr Stoff sparen als die Verzierungen mehr verbrauchen. Das kommt natürlich sehr auf die Verzierungen an.

Wer länger oder breiter ist oder es ganz genau wissen will: Eher breit gebaute Personen brauchen nur minimal mehr Stoff, lang gebaute aber deutlich. Die Rechnung für sparsame Schnitte (wie diesen hier) und 150 cm Stoffbreite (einfarbig) geht etwa so:

*) d.i. volle Körpergröße incl. Kopf: Dann geht eine kleine Schleppe raus. Für größere Schleppe oder ab ca. 175 cm Körpergröße 10-15 cm mehr, damit die Schleppe in der Proportion bleibt. Ohne Schleppe ist keine Option!
**) Das ergibt bei 150 breitem Stoff 3 Meter Rockumfang, das Minimum. Für große Gößen 50-100 cm mehr Umfang rechnen oder gleich drei Bahnen nehmen.

Wenn Du besonders groß bist, beachte, daß du deutlich mehr Stoff in die Rückenfalten stecken solltest, damit sich um den Saum herum genug Weite ergibt. An der Naht entlang der Rückenmitte mußt Du also entsprechend zugeben. Wieviel genau, ist schwer zu sagen, man muß es eigentlich probieren. Grober Fingerzeig: Eine Person von 180 cm sollte mindestens 20 cm zugeben - pro Schnitthälfte, d.h. es sind insgesamt 40 cm mehr Stoff im Rücken. Vielleicht reicht das noch nicht einmal... ich weiß es nicht, da fehlt mir die Erfahrung. Aber eigentlich kann man fast nicht zu viel zugeben. Alles, was zu viel ist, verschwindet einfach in entsprechend tiefer gelegten Falten.

Wenn Du besonders dünn bist, laß den Schnitt einfach so - der zusätzliche Stoff wird einfach in den Falten verschwinden. Wenn Du besonders dick bist, gib ein paar cm in der Rückenmitte und an der Vorderkante zu. Wie zugeben? Tu einfach so, als wäre es eine besonders große Nahtzugabe. Es sind ja gerade Kanten, so daß nichts weiter zu beachten ist.

Falls das Kleid mit Volants und Rüschen besetzt werden soll, addiere zu allen obigen Angaben nochmal ein bis zwei Meter.

Eine Sparversion, den Mogelrock, gibt es auch: Dabei schneidet man die Jupe aus einem beliebigen, billigen Stoff zu und belegt nur den sichtbaren Bereich vorne mit Oberstoff, sowie rundherum den Saum in 20-30 cm Höhe. Das kann bei Wind etwas peinlich werden oder wenn man den Rock hochrafft, ist aber historisch verbürgt: Sogar die Pompadour hatte solche Mogelröcke in ihrem Nachlaß1.

Für das Futter braucht man bei 150 cm Breite ca. 50-75 cm festen Stoff in Leinenbindung oder dichtem, festem Köper (ähnlich wie Jeans). Das Futter muß die ganze Konstruktion zusammenhalten, darf sich also nicht verziehen und muß ein bißchen was an Zug aushalten. Geeignet sind z.B. alte aber noch nicht mürbe Bettücher, Mangeltücher, Nessel, gleichmäßig gewebte Vorhangstoffe u.ä. Zusätzlich solltest du eine unbestimmte Menge ähnlich gearteten, billigen Stoffes haben (ich nenne sowas Pfuibäh-Stoff - mein Favorit ist "Bomull" von IKEA), für Probeschnitte.

Sonstiges Material

Eine Schneiderpuppe bzw. eine sehr geduldige Person, die abstecken beherrscht. Da handelsübliche Schneiderpuppen nicht ganz die korsettierte Figur nachbilden können, ist ein lebender Helfer zum Abstecken an der eigenen Person sehr wichtig; die Puppe kann bestenfalls zwischen den kritischen Phasen die zweite Person ersparen. Oder Du machst Dir selber eine Puppe. Zur Not stellst du eine normale Schneiderpuppe etwas kleiner ein, ziehst ihr Dein Korsett an uns stopfst es an gewissen Stellen etwas aus.

2-3 Meter Bundband für den Unterrock (z.B. Fischgrätband, leinenbindiges Band, oder Streifen des Kleidstoffs - keine moderne Bundeinlage und kein Schrägband!), ein bis zwei Meter schmaleres, nichtrutschiges Band, 50-60 cm Plastikfischbein. Einen Belegstoff (ca. 30 x 400 cm), der den Saum und die Unterseite der Schleppe vor Dreck und Abrieb schützt - also etwas billiges, das aber nicht viel schwerer sein sollte als der Kleidstoff. Auch da bietet sich Bomull an. Und natürlich die üblichen Verdächtigen: Nähgarn, Reihgarn, Nadeln etc. pp.

Ich fange hier mit einem einfachen Schnitt aus der Zeit um 1750 an, der nicht unbedingt Garnitur braucht: Vor 1750 waren Garnituren nicht üblich. Für spätere Dekaden brauchst Du zur Garnitur nur etwas mehr vom Kleidstoff für Volants, aber wenn Du es wild treiben willst: Je nach Geschmack feine Klöppelspitze, Metallspitze, Satinband, Filamentseide, Chenille, Gimpborte, künstliche Blumen und zur Herstellung von Volants evtl. eine Zickzackschere und/oder ein Zäckeisen. Übrigens: Entgegen verbreiteter Klischees waren Stickereien, Pailletten und Borten auf Roben nicht üblich. Wenn Stickerei, dann nur richtig großflächig, und auch dafür gibt es recht wenige erhaltene Beispiele. Wer will sich das schon antun? Selbst bestickte Stecker sind nach ca.1740 eher selten.

Nähmaschine: Wenn Du authentisch arbeiten willst, mußt Du sie sowieso weglassen. Auch sonst kannst Du fast darauf verzichten. Mit der Maschine kannst Du nur die hintere Mitte, die seitliche Naht von Rock und Oberteil und die Ärmelnaht machen. Die restlichen Nähte sind nicht nur der Authentik wegen, sondern schon aus rein technischen Gründen für die Maschine ungeeignet.

Vorbereitungen

Die wichtigste Vorbereitung ist die, daß Du Dir darüber klarwirst, welcher Zeit Dein Kleid zugehörig sein soll. "18. Jahrhundert" reicht nicht, dafür hat sich die Mode zwischen 1710 und 1780 zu stark gewandelt. Vor 1710 und nach 1780 wäre eine Contouche nicht geeignet. Wenn es Dir nicht so wichtig ist, dann folge einfach dieser Anleitung, um eine Robe von ca. 1750 zu machen. Aber vielleicht hast Du, wie so viele, eine Präferenz für ein bestimmtes Merkmal: Möchtest Du es lieber tailliert oder lose, Volants oder ganz schlicht ohne Garnitur, breites oder kleines Panier? Dann paß auf, daß diese Merkmale auch historisch gleichzeitig auftraten: Manche Features passen einfach nicht zusammen. Es wäre doch Schmarrn, sich so viel Arbeit zu machen, und am Ende kommt irgendein Wolpertinger raus mit Taillennaht von 1765, Ärmeln von 1730 und Panier von 1740. Diese Anleitung, besonders die Seite über Schnittvariationen ganz am Ende, enthält viele Hinweise, was die Wandlungen der Contouche zwischen ca. 1720 und 1770 betrifft. Lies sie also genau, schau Dir noch ein paar Bilder an (am besten via Bilderdatenbank oder Führung durch die Damenmode) und triff dann Deine Entscheidung. Vergiß nicht, daß Du das Panier dann auch in der entsprechenden Form/Größe machen mußt - bevor Du mit dem Kleid anfängst.

Es ist normalerweise empfehlenswert, den Stoff vor dem Zuschneiden zu waschen, falls er einläuft. Bei Seiden aber ist das Einlaufen relativ unwahrscheinlich und die Wäsche ist zudem ein bißchen riskant, weil Seidenstoffe dabei gern ihre Steifheit und einen Teil des Glanzes verlieren - und je nach Qualität der Färbung einen Teil der Farbe. Baumwollstoffe können in die Maschine (möglichst sanfter Schleudergang), Seide sollte erstmal gar nicht gewaschen werden und wenn, dann nur sachte per Hand und ohne auswringen.

 

Nächster Schritt: Der Schnitt

 

1) Ausstellungskatalog "L'Art et l'amour", Hypo-Kulturstiftung, München 2002

Monday, 10-Sep-2018 22:50:48 CEST