Momentan muß ich mal wieder einen Schnitt anpassen, und bei der Gelegenheit schreibe ich mal auf, wie ich das mache. Es ist auf den ersten Blick ziemlich kompliziert, kann aber ein oder zwei Prototypen ersparen. Ein Prototyp wird wohl trotzdem nötig sein, weil man für eine Schnürbrust oft nicht einfach die normalen Körpermaße nehmen kann. Zum Beispiel ist es ein Unterschied, ob man die Brust zum Maßnehmen hoch- und flachdrückt, oder ob die Schnürbrust das tut. Aber vor allem kann eine Schnürbrust das Taillenmaß je nach Körperform mal mehr, mal weniger reduzieren.
Es geht hier um den zweiteiligen Schnitt von der Hauptseite. Je mehr Schnitteile Du hast, desto Schwieriger ist das anpassen, weil man dann noch mehr aufpassen muß, wo man wieviel zufügt oder abnimmt. Das Prinzip ist beim fünfteiligen Schnitt ähnlich, nur daß die Seitenlinie, die vorderes und hinteres Maß trennt, schräg durch das mittlere Schnitteil verläuft, während sie beim zweiteiligen einfach der Naht entspricht.
Folgende Maße sind nötig:
Damit ich mich nicht totschreibe, müssen Abkürzungen her. Das kleine g soll zeigen, daß die Abkürzung für das an Dir (g)emessene Maß steht, im Gegensatz zum Maß des Vorlagen-Schnittes.
Zum Abmessen solltest Du ein T-Shirt tragen, möglichst ein enges mit Seitennähten. Es ersetzt einerseits die Chemise, deren Weite ja auch irgendwie ins Korsett passen muß, und gibt dir andererseits einen Anhaltspunkt dafür, wo deine Seitenlinie ist. Hat das Hemd keine Seitennähte, stecke ein schmales Band oder Kordel daran fest, das die Seitenlinie markiert oder markiere die Linie mit einem "magischen" Stift.
Nimm Ober- und Taillenweite in zwei Teilen ab: Einmal vornerum von Seitenlinie zu Seitenlinie, einmal hintenrum. Bei der Oberweite vorn (OV) solltest Du die Brust hoch- und flachdrücken, wie es das Korsett auch tut. Die Rückenbreite (R) geht von einem Armausschnitt (also Außenkante des Schulterblatts) zum anderen. Die Vordere Länge (V) von der (hochgedrückten) Brustwarze bis zur Taille, die Seitenlänge (S) von unter der Achsel bis zur Taille. Geh dabei nicht bis ganz in die Achselhöhle, sondern nur so weit, daß es nicht zwickt. Ein bißchen zuviel "Luft" bei R und S stört nicht.
Die Maße OVg und OHg, TVg und THg müßten sich zu Deinem halben Gesamtumfang addieren. Wenn nicht, bist Du wohl an der Seitennaht ungenau gewesen. Wenn das nur etwa ein Zentimeter ist, macht das nichts. Zieh einfach von Vorder- und Rückenmaß je die Hälfte der Differenz ab bzw. addiere sie. Bei größeren Abweichungen mußt Du nochmal messen. Achte darauf, daß die Seitennaht des Hemdes nicht verrutscht, während Du abgemessen wirst. Mach also möglichst keine großen Bewegungen.
Vergleiche nun diese Maße mit denen der Schnittvorlage. Die abgenommenen Maße verhalten sich zu denen des Schnittes wie folgt:
Da der Schnitt nur jeweils das halbe Vorder- bzw. Rückenteil zeigt, mußt Du nun die abgenommenen Maße für OVg, OHg, TVg, THg und Rg halbieren. Sg und Vg sind keine Umfangmaße, werden also direkt verglichen.
Das Korsett sollte in fest geschnürtem Zustand hinten ca. 3-6 cm aufklaffen. Entsprechend muß also TH in deinem Schnitt 1,5-3 cm kleiner sein als ½ THg, ebenso R und OH. Das gilt auch, wenn Du eine Vorderschnürung machst, denn die vordere Schnürung sollte möglichst auf Stoß sein - für den Zweck der Anpassung kann sie also ignoriert werden.
OV muß ½ OVg entsprechen, dito TV. S und V sollten Sg und Vg genau entsprechen. Das heißt, eigentlich sollte V ein bißchen (nennen wir es x) mehr sein als Vg: Die Schnürbrust soll ja ein bißchen weiter hinaufreichen als nur bis zur Brustwarze. Überhaupt solltest Du an dieser Stelle sicherheitshalber ein wenig zugeben und erst ganz am Schluß entscheiden, ob Du noch etwas wegschneidest oder nicht.
Bei Vorderschnürung ohne Rückenschnürung gilt das gleiche umgekehrt, allerdings ist es vorn nicht gar so schön, wenn die Lücke allzu groß ist. D.h OV und TV sollten um ca. 1-2 cm kleiner sein als OVg und TVg, während R=Rg, OH=OHg und TH=THg.
So, und wie erreicht man nun diese Gleichheit?
Bei S und V ist das relativ einfach, da die Abweichungen meist nur gering sind und geringe Abweichungen ( <1 cm) problemlos auch am halbfertigen Teil ausgeglichen werden können. Auch bei größeren Abweichungen ist es einfach, sofern beide um gleich viel von Sg und Vg abweichen: Schneide den Schnitt mittendrin horizontal durch und schiebe die Schnitteile übereinander bzw. setze einen Papierstreifen dazwischen, so wie man das auch bei modernen Schnitten tut. Die Treppe, die dabei an der schrägen Seitenkante entsteht, glättest Du so, daß wieder eine Gerade entsteht. Weichen die beiden Maße unterschiedlich stark ab, verkürze bzw. verlängere zunächst den Schnitt wie eben angegeben, und zwar um die kleinere der Abweichungen. Beispiel: V ist um 2 cm länger als Vg+x , S aber nur um 1 cm länger als Sg: Verkürze den Schnitt um 1 cm. Nun ist V noch um 1 cm zu lang. Gleiche das aus, indem Du den Ausschnitt in der vorderen Mitte um 1 cm tiefer schneidest. Falls S länger ist, muß der Armausschnitt tiefergelegt werden.
Ich wurde gefragt, wie lang die Vordere Länge nach oben und unten sein muß/darf. Für sie Oberkante erwähnte ich es schon bei der Anleitung zum Abmessen: Brustwarze der hochgehobenen Brust. Die Oberkante darf nicht viel höher sein, weil sich sonst die Korsettoberkante unter dem Kleid abzeichnet, aber auch nicht viel tiefer, weil sonst die Brust über die Oberkante hinausquillt. Die untere Spitze vorn sollte nur so weit hinuntergehen, daß man bequem sitzen kann, ohne daß es aufs Schambein drückt. Man möchte sie gern länger machen, um den Bauch plattzudrücken, aber das ist moderne Ästhetik. Unter all den Röcken ist das gar nicht so nötig.
Bei Abweichungen der anderen Maße kann man ein wenig (bis zu 0,5 cm pro Schnitteil) in der Seitennaht ausgleichen. Mehr geht nicht, weil sich sonst der Armausschnitt zu sehr verkleinert bzw. vergrößert. Das ist zwar bei einer Schnürbrust kein großes Problem, weil kein Ärmel eingepaßt werden muß, aber dafür könnte es beim Bewegen zwacken (wenn der Ausschnítt zu klein ist) oder die Brust seitlich herausfallen (wenn er zu groß ist). In der vorderen und hinteren Mitte kann man jeweils bis zu 1 cm pro Schnitteil ausgleichen. Hinten mußt Du aber aufpassen, daß R nicht größer wird als Rg, also evtl. den Armausschnitt weiter in den Rücken hinein schneiden. Weitere Abweichungen müssen wieder dadurch ausgeglichen werden, daß Du den Schnitt durchschneidest. Die Durchschneidelinien sind oben rot eingezeichnet. Wichtig ist der untere Punkt; ob Du sie von dort aus senkrecht oder leicht schräg nach oben führst, ist ziemlich egal. Schiebe wieder die Schnitteile übereinander oder klebe Papierstreifen ein. Wenn Du oben mehr ausgleichen mußt als unten, dann läßt Du einfach oben weiter überlappen/ziehst weiter auseinander als unten. Dann klebst Du die Teile wieder zusammen. Gleiche die entstandenen Treppen an Ausschnitt und Taillenlinie aus.
Aber noch sind wir leider nicht fertig:
Das oben gesagte gilt, wie Du Dir vielleicht schon ausgerechnet hast, für ein Korsett, das nicht einschnürt, denn dazu müßte es ja enger sein als Deine natürlichen Maße. Es ist zwar ein Irrglaube, daß sich die Frauen des 18. Jh. allgemein gnadenlos einschnürten, aber etwas enger sollte es schon sein, denn
Es rutscht nämlich immer ein bißchen herum - am liebsten nach oben, und dann drücken die Stäbe in die Achselhöhle - und an diversen Stellen reibt man sich einen Wolf. Also sollten die Umfangsmaße des Korsetts im Ganzen etwas kleiner sein als die gemessenen Maße. Um wieviel, ist schwer zu sagen - es kommt auf Deine Figur an. Daumenregel: Je mehr weiche Masse, desto mehr kannst Du drücken. Das gilt nicht nur für eventuelle Schwimmreifen, sondern auch für eine große Oberweite (die ja auch weich ist *g*) an einer ansonsten schlanken Figur. Als ungefähren Anhaltspunkt würde ich sagen: Da, wo Du wenig weiche Masse hast, nimm 2 cm vom Gesamtumfang ab. Da, wo Du viel weiche Masse hast, bis zu 6 cm. Lieber zu viel als zu wenig: Notfalls klafft die Schnürungslücke weiter auf, was ja eh keiner sieht, aber enger als Kante auf Kante kann man nicht schnüren. Die Weite wird ebenso abgenommen wie oben beschrieben.
Kompliziert? Ja, leider. Aber wenn es einmal sitzt, dann ist es ausgestanden.
Nun noch ein wenig Theorie für den Fall, daß der Prototyp eben nicht
richtig sitzt.
Ob er richtig sitzt, erkennt man vor allem an der Schnürung. Wir gehen davon aus, daß die vordere Schnürung (so vorhanden) immer Kante an Kante liegt und folglich so zu behandeln ist, als ob es sie nicht gäbe. Wir betrachten also nur die hintere Schnürung, die im Idealfall eine überall gleich breite Lücke aufweist. Eine fischförmige Schnürlücke ist nichts schlimmes, d.h. die Schnürbrust ist trotzdem tragbar, aber sie zeigt, daß der Schnitt nicht ideal ist.
Wenn die hintere Schnürung oben weiter aufklafft als unten, ist klar, daß die obere Weite zu klein ist. Es kann aber auch passieren, daß die Schnürung zwar schön parallel aussieht, die Oberweite aber trotzdem zu klein ist: Man erkennt das daran, daß die Brüste allzusehr oben rausgedrückt werden (siehe auch Tabelle unten, Bild1)
Klafft die Schnürung unten zu weit auf, ist die Sache nicht gar so klar. Es kann sein, daß Taillenweite zu klein ist, aber es ist auch möglich, daß die Taille zu weit unten sitzt. Man erkennt letzteren Fall u.a. daran, daß die Enden der Zaddelschlitze zu dicht über den Hüftknochen sitzen, so daß die Zaddeln sich nicht genug aufspreizen können, um der Hüfte die nötige Weite zu lassen. Aus dem gleichen Grund kann man eine Schnürbrust mit noch nicht aufgeschnittenen Zaddeln auch nicht vernünftig anprobieren. Nimm ein Band oder einen schmalen Gürtel und zieh es unter dem Korsett! richtig stramm. Es sollte automatisch dort sitzen, wo die natürliche Taille ist. Wenn Du nun den Schnürbrust-Prototyp darüberziehst, müssen die oberen Enden der seitlichen Zaddelschlitze auf Höhe des Bandes sitzen. Vorn und hinten fällt die Taillenline der Schnürbrust nach unten ab und soll es auch, aber seitlich muß sie auf Höhe der natürlichen Taille sitzen. Wenn dem so ist, mußt Du die Taillenweite anpassen. Enden die Schlitze zu weit unten, mußt Du sie weiter aufschneiden und dann wieder anprobieren.
Schließlich könnte die Schnürung in der Mitte weiter aufklaffen als unten und oben das kommt so häufig vor, daß es sogar einen eigenen Namen hat: Fisch. Das Problem dabei ist, daß durch einen allzu "dicken" Fisch die Stäbe direkt an der Schnürkante verdreht werden, so daß sie möglicherweise ihre Schmalseite ins Kreuz drücken. Nur wenn der Fisch nicht allzu breit ist, so daß er auch nach mehreren Stunden keine Unannehmlichkeiten bereitet, kann man es dabei belassen.
Je nachdem, wo die breiteste Stelle liegt, kann ein Fisch verschiedene Ursachen haben. Bei sehr schlanken Figuren z.B. sitzt die größte Lückenbreite meist auf Höhe des untersten Rippenbogens, weil nicht genug weiche Masse da ist, um den Oberkörper zu einem richtigen Kegel zu formen. Das ist ein sehr problematischer Fall, da die naheliegendste Gegenmaßnahme darin besteht, in Höhe des untersten Rippenbogens mehr Weite zu geben, oben und unten aber nicht was im Grunde darauf hinausläuft, die gewünschte Kegelform aufzugeben und durch etwas zu ersetzen, das eher den Sanduhrkorsetts des 19. Jahrhunderst entspricht. Wenn die Stäbe an der Schnürkante nicht so sehr verdreht werden, daß sie Schmerzen bereiten, und die Rippen nicht so sehr gedrückt, daß es auf Dauer unangenehm ist, kann man es beim Status Quo belassen. Ansonsten kann man ein wenig ausgleichen, indem man die Oberweite durch stützende Kissen ein wenig vergrößert und die Taille nicht gar so eng schnürt (siehe auch weiter unten, Stichwort Hohlraum). Eine Kombination aller drei Maßnahmen (oben auspolstern, unten weniger schnüren und mehr Weite in der Mitte) dürfte in den allermeisten Fällen ausreichend sein.
Bei mittleren bis molligen Figuren ist die Schnürlücke eher in Taillenhöhe zu breit. Das liegt oft an dem verständlichen (und historisch korrekten) Wunsch, die Taille besonders schmal zu schnüren, was aber nicht immer im gewünschten Maß möglich ist. Dann mußt Du leider in der Taille doch mehr Weite geben. Es kann aber auch sein, daß die Taille zu hoch angesetzt wurde. Überprüfe das nach der gleichen Methode wie oben unter "Unten zu eng". Die Korrektur ist dann leider nicht so einfach: Es ist ein völlig neuer Schnitt mit längerem Oberkörper nötig.
Bild 1 | Bild 2 | Bild 3 | So soll es aussehen |
Bisher hatte ich mich auf die Weite konzentriert, weil die die meisten Probleme bereitet. Eine Userin frug mich nun nach der Länge: Wie weit nach unten soll die vordere Spitze reichen, wie weit soll die Oberkante die Brsut bedecken?
Zur Länge nach unten: Für die meisten wird es passen, wenn die Spitze bis zur Oberkante des Schambereichs reicht. Es gibt keinen triftigen Grund, die vordere Spitze länger zu machen, da man weder die Spitze noch einen nicht ordentlich flachgedrückten Bauch (der sowieso nur vom modernen Schönheitsideal gefordert wird) unter all den Röcken sieht. Ist die Spitze zu lang, wird sie spätestens im Sitzen unbequem, vor allem, wenn man kräftige Oberschenkel hat.
Wo die vordere Oberkante sitzen sollte, ist weniger leicht zu sagen. Bei großen und weichen Brüsten sollte die Oberkante mindestens die Brustwarze bedecken, weil die Brust sonst über die Oberkante hervorquillt (Bild 1), was erstens nicht gut aussieht und zweitens die Anpassung eines Kleidoberteils sehr erschwert: Kleid bzw. Jacke würden an dieser Stelle immer unschöne Falten werfen. Ein Effekt wie in Bild 1 kann aber auch daher rühren, daß die Schnürbrust obenrum zu eng ist. Wer obenrum zu wenig abbekommen hat, sollte den Ausschnitt tendenziell etwas tieferlegen, um so das Bißchen so hochzuquetschen, daß es nach mehr aussieht. In Bild 2 z.B. ist der Ausschnitt vorn zu hoch, so daß sich die Kante durch Kleidoberteile abzeichnen würde. Es kann aber auch sein, daß Du unter dem Hohlraum-Phänomen in Bild 3 leidest. Dazu kommen wir gleich.
Um herauszufinden, wo die Oberkante in Relation zur Brustwarze liegen sollte, lege die flache rechte Hand auf die Unterseite der rechten Brust, Oberkante Zeigefinger auf Höhe des oberen Randes der Brustwarze, und drücke die Brust an den Körper und hoch. Wenn nun die Brust über den Zeigefinger hinaus nach vorn quillt, sollte die Oberkante der Schnürbrust höher liegen (wiederhole den Versuch mit der Hand weiter oben), oder Du darfst obenrum nicht so eng schnüren - was aber in den meisten Fällen bedeutet, daß die Brust in den Hohlraum sackt, der sich zwangsläufig darunter ergibt.
An dieser Stelle haben die besonders flachbrüstigen und die besonders vollbrüstigen das gleiche Problem: Bei den einen drückt die Schnürbrust eher platt als hoch, weil eine gerade Linie von der Taille über die Rippen bis zur Brust, wie sie eine Schnürbrust erzielen sollte, am oberen Rand einen Hohlaum hinterließe (wie in Bild 2); bei den anderen bildet sich durch ebendiese gerade Linie zwangsläufig ein Hohlraum unter der Brust (Bild 3), in den diese hineinzurutschen droht - was sich nur durch starkes Schnüren vermeiden läßt, und dann wären wir bei Bild 1. Abhilfe für beide schaffen halbkreis- oder halbmondförmige Kissen (gefüllt z.B. mit unversponnener Wolle oder Kosmetikwatte), die entweder bei jedem Anziehen eingeschoben oder gleich am Futter befestigt werden.