Die Herstellung eines Rokoko-Korsetts
Teil 2: Der Schnitt

 

 

hinteres Schnitteil, vorderes Schnitteil

Erratum: Der Schnitt des Rückenteils zeigt eine Schnüröse unterhalb der Tailenlinie. Diese sollte weggelassen werden.

Für Info darüber, wie man von diesem Diagramm zu einem originalgroßen Schnitt kommt, lies bitte diese Seite.

Der Schnitt hier stammt von einer halbsteifen (demi-baleiné) Schnürbrust der 1760er/70er. Seine Einfachheit macht ihn für Anfänger besonders geeignet. Die Körperform, die sich daraus ergibt, ist für das ganze 18. Jh. korrekt. Fortgeschrittene finden Schnitte für andere Dekaden bei Norah Waugh, Hunnisett, unter den Schnitten aus Diderot's Encyclopédie und bei kommerziellen Schnittanbietern. Bei all diesen Schnitten kann man durch weglassen/hinzufügen von Stäben baleiné bzw. demi-baleiné erzielen; dieser hier ist wegen der eigenwilligen Stabführung für baleiné nicht so richtig geeignet. Dieser Schnitt ist für ca. 82-90 cm Taille, 100-110 cm Oberweite und ca. 158-165 cm Körpergröße. Die Variation in der Weite ergibt sich daraus, daß man an der Schnürung mehr oder weniger Lücke lassen kann. Zur Anpassung des Schnittes habe ich eine extra Seite verfaßt.

Alternativ dazu gibt es dank Cecilia nun einen auf Konfektionsgröße 40 skalierten Schnitt. Wenn Du jede Bilddatei in voller Größe (!) auf A4-Papier druckst, mußt Du nur noch die Teile zusammenkleben und fertig! Beachte aber, daß beim Ausdruck direkt aus dem Brauser oft Kopf- und Fußzeile hinzugefügt werden, d.h. der Schnitt wird eben nicht in voller Größe gedruckt. Speichere lieber die vier Dateien und drucke sie aus einem Bildbearbeitungsprogramm heraus (z.B. Irfanview, freeware). Teil 1, Teil2, Teil 3, Teil 4.

Die Schulterträger habe ich beim Schnitt weggelassen; sie sind einfach zu schneiden: An einem Ende etwa 2-3 cm breit, am anderen so breit wie die zugehörige Kante am Rückenteil, wo sie angenäht werden. Das sieht etwa so aus wie auf diesem Bild. Die Länge richtet sich nach Höhe und Form Deiner Schultern. Das kann aber warten, bis der Rest fertig ist.

Bedenke, daß eine Lücke von 2-8 cm Breite an der Schnürung (die sogenannte Schnürlücke) normal war. Eine Schnürung, bei der Kante auf Kante trifft, ist unüblich und nicht zu empfehlen: Der Stoff gibt mit der Zeit nach, so daß die Lücke allmählich kleiner wird, indem man im Lauf des Tages immer wieder mal nachschnürt. Schneide also nicht zu großzügig. Am besten machst Du sowieso erstmal ein Probestück aus billigem Stoff, das Du möglichst mit zumindest einem Teil der Stäbe drin anprobierst - oder noch besser: Eine schnell zusammengeschusterte Vorversion, die Du eine Weile probeträgst. Die kannst Du, sofern sie nicht ganz gelungen ist, nachher auf eine moderne Schneiderpuppe ziehen, damit sie die richtige Form zum Abstecken der Robe hat - damit ist die Arbeit nicht ganz umsonst.

A propos Schnürung: Im 18. Jh. war es üblich, daß eine Schnürbrust nur hinten geschnürt wurde. So ist auch der Schnitt. Es gab aber auch Schnürbrüste mit Vorder- und Rückenschnürung, und zumindest bei regionalen Trachten reine Vorderschnürungen. Da diese Anleitung hier sowieso einen verminderten Authentizitäts-Anspruch hat, würde ich dazu raten, entweder Vorder- und Rückenschnürung oder reine Vorderschnürung zu machen. Das erleichtert das Anziehen ohne Hilfe ungemein und damit auch die Schnittanpassung der Oberkleidung.

Die im Schnitt eingezeichneten geraden Linien deuten an, wie die Stäbe verlaufen. Dabei ist eigentlich nur der je am schrägsten eingezeichnete Stab wichtig. Alle anderen lassen sich davon leicht ableiten: Direkt an der Seitennaht parallel zu dieser, dito vordere und hintere Mitte. Von da aus auffächernd, so daß sie sich in der Richtung immer mehr dem schrägsten Stab angleichen. Diesen würde ich evtl. in Stahl machen, selbst wenn der Rest Plastik ist, denn er ist wirklich das A und O für die Form und muß besonders viel aushalten. Wie die Stäbe verlaufen, sieht man recht gut in diesem Bild eines meiner Projekte. Betrachte dabei bitte nur die breiten Streifen - da liegen die Stäbe drin.

Den diagonalen Stab auf Höhe der Schulterblätter im Rückenteil kann man der Einfachheit halber auch weglassen: Er sorgt für einen geraderen Rücken, aber man muß dafür aus einem Leinenstreifen einen extra Tunnel innen aufsetzen. Es macht keinen Spaß und bringt nicht wirklich viel. Unter anderem aus diesem Grund habe ich auch die ein bis drei Querstäbe im Vorderteil gleich weggelassen. Der andere Grund dafür ist, daß die Querstäbe im Vorderteil sich parallel zur Ausschnittkante biegen müßten, was bei den handelsüblichen Stäben mit rechteckigem Querschnitt fast unmöglich ist - je breiter, desto schwieriger. Dieser Schnitt samt Anleitung soll ja nun für Anfanger geeignet sein, und das bedeutet u.a., daß eine Sorte (Breite) Fischbein reichen muß. Falls Du Dir ca. 2 m schmalere (max. 5 mm breite) Stäbe leisten kannst, kannst du natürlich gern Dein Glück mit den querlaufenden Stäben versuchen.

In beiden Teilen ist je eine gekurvte Linie eingezeichnet, die Taillenlinie der Schnürbrust. An der Seitennaht liegt sie auf der Höhe Deiner natürlichen Taille, aber vorn und hinten fällt sie ab. Diese Linie ist nur für eines wichtig: Die Schlitze für die Zaddeln werden bis dorthin eingeschnitten. Die Zaddeln sind im Vorderteil angedeutet, aber ignoriere das erstmal und schneide nur entlang der dickeren Linie für die Unterkante. Ausnahme: Zwischen dem Nullpunkt und Punkt (5;8) im Vorderteil bzw. (3,5;9) im Rückenteil. Die ergeben nachher dekorative Schneppen. Ansonsten werden die Zaddeln erst ganz am Schluß geschnitten. Trotzdem solltest Du Dir schon jetzt überlegen, wo die Zaddeln sein werden - wie viele, wie breit? Bei erhaltenen Stücken sind sie meist um die 2-3 cm breit, nach unten hin ein wenig schmaler werdend, und ca. 4-8 cm lang. Dies aber nur als Anhaltspunkt.

Wichtig ist, daß möglichst viele Stäbe möglichst weit in die Zaddeln hineinlaufen. Würden die Stäbe nämlich auf Höhe der Taille enden, ergäbe sich ein scharfer Knick, der schon bei moderat enger Schnürung tierisch wehtun kann, weil er sich ins Fleisch gräbt. Die durchlaufenden Stäbe sorgen für eine sanftere Kurve an der Taille vorbei, was den Druck von der Taille nimmt und obendrein besser aussieht. Überall da, wo der Knick zwischen Taille und Hüfte besonders stark ist (z.B. bei breithüftigen Gestalten oder Hohlkreuz), ist es besonders wichtig, möglichst viele durchlaufende Stäbe zu haben.

Ich werde manchmal gefragt, ob man die Zaddeln auch weglassen kann. Mir ist keine Schnürbrust des 18. Jh. bekannt, die keine Zaddeln hat, aber davon abgesehen sollte der obige Absatz die Frage schon beantworten: Man könnte, aber dadurch läuft man Gefahr, sich in der Taille wundzureiben. Es gibt obendrein keinen triftigen Grund, die Zaddeln wegzulassen - außer vielleicht, daß das Versäubern derselben nicht so einfach ist. Aber ist das bißchen Arbeitsersparnis es wert, sich einen Wolf zu reiben, sprich: die ganze restliche Arbeit in den Sand zu setzen?

Das Problem dabei ist, daß die Zaddeln dem Schnitt nach ungefähr im rechten Winkel auf die Taillenlinie (des Korsetts, nicht Deine) treffen sollen, also schräg zu den Stäben verlaufen. Folglich können die Stäbe nicht bis ganz runter laufen, und oft paßt überhaupt nur ein Stab zwischen die Einschnitte. An den o.g. neuralgischen Punkten kann es nötig werden, einen Stahlstab anstatt des Plastiks einzuziehen. Plastikstäbe neigen nämlich mit der Zeit dort, wo sie stark geknickt werden, zu Materialermüdung. Will heißen, sie werden an der Knickstelle weich und schlabberig, so daß sie ihrer Aufgabe, Druck von der Taille abzuleiten, nicht mehr nachkommen können. An diesen Stellen reibt man sich dann wund. Ob das passiert und an welchen Stellen, erweist sich oft erst nach mehrmaligem, längerem Tragen - auch deswegen ist ein Probestück sinnvoll.

Deshalb solltest du Dir zuerst die Zaddeln einzeichnen und dann, falls nötig, die Stäbe und geplanten Zaddel-Einschnitte ein bißchen verschieben und/oder kippen, so daß in jede Zaddel mindestens ein Stab hineinläuft. Halte Dich bei Anordnung der Stäbe und Zaddelschnitte bloß nicht sklavisch an die Schnittzeichnung!

 

Nächster Teil: Die Methode