Männeranzug

Teil 5: Die Weste

 

Westen bestehen für gewöhnlich aus zwei Lagen des Futterstoffs im Rücken und aus einer Lage Oberstoff und einer Lage Futter vorn. Frühe (vor ca. 1760) Westen, die tiefer als bis zur Hüfte reichen, sind hinten unten oft mit Oberstoff belegt.

Weste, ca. 1750
(c) LACMA, M.2007.211.812

Den Rücken kann man auf drei Weisen machen:

Das Bild rechts kombiniert die ersten beiden Varianten. Beide sorgen dafür, daß die Weste auch dann glatt und körpernah anliegt, wenn der Träger hin und wieder die Form verändert. Diese Anleitung geht von der geschnürten Variante aus, weil variable Größen bei einem Kleidungsstück, das eher selten getragen wird (Reenactors) oder von verschiedenen Personen (Theater o.ä.) besonders wichtig sind.

Nach dem zuschneiden werden zuerst die Taschen eingesetzt, wie beim Rock. Wenn das Material nicht sonderlich steif ist, sollten die Taschen entweder relativ klein oder die Beutel aus eher leichtem Stoff sein, damit das Gewicht die Form nicht verzieht. In diesem Fall solltest du auch gleich einen festen Leinenstreifen an der Vorderkante entlang unterlegen, wie beim Rock. Der hält das Gewicht der Knöpfe und verhindert, daß die gebogene Vorderkante das tut, was gebogene Stoffteile gern tun: sich verziehen. Die Vorderkante würde sonst Wellen schlagen.

Die beiden Rückenteile werden nur auf ca. 20 cm vom Nacken abwärts zusammengenäht, also etwa bis auf Höhe Unterkante Armloch. Dito im Futter. Vorderteile von Oberstoff und Futter jeweils an der Seitennaht ansetzen; Seitennaht nur bis zum Knick auf Taillenhöhe schließen. Schulternaht schließen. Alle Nahtzugaben auseinanderbügeln.

Die beiden Lagen des Rückens links auf links zusammenlegen. Dort, wo die Mittelnaht offen ist, werden nun die beiden Lagen mit umgelegter Zugabe mit Staffierstich aufeinandergenäht, so daß sich bis zum Saum ein Schlitz ergibt. Beiderseits des Schlitzes werden mit einer Ahle Schnürösen gebohrt und mit Leinengarn umstochen, gerade so wie die Ösen bei einer Schnürbrust. Genau wie dort müssen die Ösen versetzt sein, damit eine Spiralschnürung möglich ist, ohne daß sich etwas verzieht. Siehe auch diese Illustration für eine Schnürbrust sowie "The Zen of Spiral Lacing". Die Schnürung geht etwa bis zum Kreuz bzw. ein wenig darüber hinaus. Von dort abwärts hängt der Mittelschlitz offen.

Es ist durchaus möglich, sich die Arbeit mit den Schnürösen zu ersparen, indem man die hintere Mitte einfach zunäht. Da die Weste aber eng anliegen soll, bedeutet dies, daß Änderungen im Körperumfang nicht ausgeglichen werden können, d.h. die Weste könnte schnell mal zu lose oder zu stramm sitzen. Beides schaut nicht aus. Als Kompromiß kann man den Rücken der Weste von Anfang an etwas weiter schneiden und dann beiderseits der hinteren Mitte 2-3 Paare von Bändern anbringen, die bei Bedarf fester gezurrt werden.

Wende die Weste um, so daß die linke Seite nach außen liegt, um die beiden Stofflagen um das Armloch herum zusammenzunähen. Anstaffieren wäre bei so stark gebogenen Nähten nicht sinnvoll, weil die Kante der Zugabe sich nicht so stark dehnen kann, wie sie es müßte, um glatt zu liegen. Mach danach noch eine Anprobe, um zu sehen, ob das Armloch groß genug ist. Wenn nein: Wieder umwenden und die unter Kante weiter außen nochmal nähen. Wenn ja: Die Nahtzugabe einschneiden und wieder rechtsrum wenden.

Der Schlitz in der Seitennaht wird ebenso wie der in der hinteren Mitte mit Staffierstichen geschlossen. Vorderkanten von Futter und Oberstoff werden auf die gleiche Weise aneinandergenäht.

Wie beim Justaucorps ist es nicht verkehrt, die Weste eine Weile aushängen zu lassen, bevor Du den Saum machst. Auch hier werden die Lagen wieder anstaffiert. Es könnte sinnvoll sein - man muß das ausprobieren -, Oberstoff und Futter im Schatten der Taschenklappe aufeinanderzuheften, damit sich dort nichts verschiebt oder beutelt, wenn man etwas in die Tasche steckt, das schwerer ist als eine Feder. Streiche die beiden Lagen vorher sorgfältig aufeinander glatt.

Schließlich werden die Knöpfe aufgesetzt bzw. Knopflöcher gemacht. Anders als beim Rock sind hier die meisten, wenn nicht gar alle Knopflöcher offen, da die Weste eigentlich immer geschlossen wird, zumindest vom Ende des Brustbeins bis zum Unterbauch.

An erhaltenen Westen sieht man es oft, daß auf das Rückenteil von der Taille abwärts der dekorative Oberstoff der Vorderseite aufgelegt wird, damit es auch dann noch gut aussieht, wenn die Schlitze im Rock aufklaffen und den Blick auf die Weste freigeben. Falls du das machen willst, solltest Du den Oberstoff auf das Rückenteil auflegen, bevor Du die Schlitze in der hinteren Mitte und an der Seite verarbeitest, so daß er gleich mit anstaffiert wird.

Soll der Anzug für früher als ca. 1750 geeignet sein, schneide die Vorderkanten von der Brust abwärts gerader und die Weste insgesamt (auch die Rückenteile!) länger, so daß die Weste nur 5-10 cm kürzer ist als das Justaucorps und bis weit nach unten zugeknöpft werden kann. Gib dem Rockschoß um 10-15 cm mehr Weite, indem Du die Kreislinie am Saum und naher der Taille entsprechend verlängerst. Davon abgesehen ist dieser Schnitt sowieso schon "konservativ", d.h. eher auf 1740 als auf 1750 ausgelegt.

 

Anziehen, Tragen, Pflege

Friday, 03-May-2013 16:47:34 CEST